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Die Kapellen

Die alten Jungfern der Architektur sind die Kapellen. Während die Kaplane verschwunden sind, haben diese sich behauptet. Auf Hügeln und Höhen, aus den Ebenen, von den Hängen herab, an Strassen, hinter Wegkrümmun­gen, in den Dörfern, auf den Feldern, auf den Alpen, Weiden, allgegenwärtig, geben sie der Landschaft einen Ton. Riechen tun alle gleich: nach Kalk und Weiss die alten, nach Eisenbeton die neuen. Das ist ihr Grundduft, gemischt dann mit dem Duft von leeren Weihwasserkesseln und von fehlendem ewigem Licht, Duft von Altären und Nischen und Schränken und Bildern, Statuen und Spinnen, Gold und Staub, heiligen Tüchern, gefolgt vom bunten Duft von Heiligen mit Mitren, Kronen und komischen Kappen auf dem Kopf, mit krummen Stöcken, Stäben, Schwertern, Zweigen, Kelchen in der Faust, Büchern in der Hand. Die Kapellen riechen nicht nach Menschen. Hei­lige, männlich und weiblich, um einen Hauptheiligen beherrschen sie. Da hat der Herrgott wenig zu sagen. Alle Kapellen sind Individualistinnen: die runden gemütlichen, die mahnenden, die duckenden, die buckelnden, die kauernden, die ohne Hals, die kauzigen, die spitzen, die hochgewachsenen, die schmalen, die untersetzten, die seriösen, die naiven, die perplexen, die wachen, die mit oder ohne oder einem halbem Turm, der hier selbstbewusst aus dem Dach wächst, dort schüchtern vom Dach späht. Ach, es ist schlimm für eine Talkapelle, keinen Turm zu haben, das macht sie gehemmt und verloren. Auf den Bergen sind Kapellen ohne Hals etwas anderes: graue Schreine mit steilen Dächern in der kargen Landschaft. Es sind Schnecken, die den Kopf so selten herausstecken, dass noch niemand es gesehen hat.

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