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Dazu müsse ich etwas ausholen. Der Mensch kenne mittels eines ordnenden Gedächtnisses seine Vergangenheit, er habe eine mentale Vorstellung, wer er in der Ge­genwart ist, und weil der Mensch auch wisse, dass er unaufhörlich auf seinen Tod zugehe, verhülle das menschliche Bewusstsein dieses unerträgliche Wissen mit Zukunftsplänen. Kurz, der Mensch könne kraft seines Bewusstseins seine eigene Geschichte erzählen, gestalten und planen.

Marty folgte mir stirnrunzelnd.

Ihm sei momentan durch eine Blockade der Zugang zu seiner Vergangenheit verwehrt, damit die Grundlage der gegenwärtigen Identität entzogen und die Imagi­na­tion für Zukunftsplanung verunmöglicht. Auf der andern Seite liege ihm außergewöhnlich viel sprachliches Material in Form von eigenen Tagebuchnotizen vor, die ihm zurzeit fremd und unverständlich erschienen, aber eine einmalige Chance darstellten, zumindest die fehlende Vergangenheit der letzten Monate mittels Sprache wieder Wirklichkeit werden zu lassen.

Mein Vorschlag: Er solle die Journaltexte auf dem Laptop als Stoff, als Material für seine Wunschvergangenheit betrachten. Er solle sich das dort Erzählte aneig­nen und so umformulieren, dass es seine Aufzeichnungen würden. Er dürfe hemmungslos eingreifen, weglassen, erfinden. Fabulieren solle er, fantasieren, erdichten, die Gedanken im Journal zu seinen eigenen machen, die No­tizen der drei Monate in Frankreich neu schreiben, sodass es seine Geschichte werde.

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