Читать книгу Die Stimme des Atems. Wörterbuch einer Kindheit онлайн

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Tinte

Selbst wenn im Lehrplan das Schreiben mit Tinte fakultativ gewesen wäre: ihres Geruchs wegen hätte ich mich ihr nicht entziehen können. Er wölkte, kaum war der Deckel am Fässchen zurückgeschoben, aus dem blauschwarz verkrusteten Loch. Er war anders als alle mir bekannten Gerüche, weder angenehm noch Übelkeit erregend. Bitter und metallisch, Inbegriff eines gefährlichen chemischen Destillats, sinterte er übers Pultblatt herunter; er war das Abenteuer der 1. Klasse. Kam die Lehrerin mit der spitz geschnäbelten Nachfüllkanne vorbei, stach er in die Nase.

Aus Holz, längsgerillt, rot, gelb oder blau, war der Federhalter; er lief in eine Spitze aus und lag gleich einer Eidechse in der Hand. Die Soennecken-Einsteckfeder machte ihn zur Waffe; sie bohrte sich ins Pult oder den Parkettboden, wenn wir den Federhalter fallen liessen oder vor Eintritt des Lehrers damit nach einander warfen. Doch so messerscharf sie eindrang, so empfindlich war sie. Drückte man zu stark, grätschte die des Tintenflusses wegen gespaltene Spitze auseinander und war nicht mehr zurechtzubiegen, nun erst recht eine Schlangenzunge oder ein aufgesperrter Schnabel, mit dem man wütend herumkrakelte. Sie musste umgehend ersetzt werden. Mein erster Tintenlappen, genäht von der Mutter, war rund mit doppelter roter Lederabdeckung und einem höckrigen Glasknopf in Form einer Blüte, der die Stofflappen zusammenhielt.

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