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Ungleichzeitigkeit von Literatur und Leben.

Aber natürlich, bei uns war und ist alles halt doch anders als anderswo, nicht so krass, in Frankreich und England waren doch die Gegensätze viel himmelschreiender. Woher wissen wir das? Aus Gottfried Kellers Werken. O du unausrottbare Gewissheit! Weil Gottfried Keller keinen Roman über Bodenspekulation und Bauwut geschrieben hat wie z.B. Emile Zola («La curée»), hat es damals vermutlich auch keine Bodenspekulation gegeben. Wirklichkeit als Post-festum-Produkt der zaghaften Phantasie unserer Erzähler.

Keller, das ist bekannt, hat Zola, seinen Zeitgenossen, verabscheut. So ein kruder Bursche, beschäftigt der sich doch sogar mit Prostitution («Nana»), mit Lokomotivführern («La bête humaine»), mit Kohlenförderung und Streiks und Armee-Einsätzen («Germinal»). Und auch mit Warenhäusern («Au bonheur des Dames»). Kein Thema für einen Dichter, fand Keller, und kippte noch einen hinter die Binde im Zunfthaus zur Meise, wo er immer gewohnheitsmässig soff, schon lange bevor dort das neue Buch von Otto F. Walter Premiere hatte und der Buchhändlerschaft vorgestellt wurde, im Herbst 1988. Natürlich gab es Lokomotivführer und Streiks und Prostitution auch in der Schweiz, aber G. Keller hätte vielleicht einmal seinen müden Staatsschreiber-Arsch ein bisschen lupfen und zum entstehenden Gotthard-Tunnel reisen müssen oder in die Fabriken des Spinnereikönigs Kunz ins Zürcher Oberland, damals der reichste Mann Europas, und bei den Huren hätte er sich auch einmal nach ihren Arbeitsbedingungen erkundigen können.

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