Читать книгу Leben nach der DDR. Was die Wende dem Osten brachte онлайн

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Seine Meinung änderte sich im Laufe der Jahre. 2019 bekannte Egon Krenz: »Es hat gedauert, bis ich Weggefährten verstand, die ihn einen Verräter nennen. Ich habe ihm vertraut. Heute weiß ich: viel zu lange.« Und: »Verrat gibt es ja nicht nur aus Berechnung. Es gibt ihn auch aus Eitelkeit, aus Missgunst, Unwissen, aus Schwäche, Unentschlossenheit, Selbstüberschätzung, Eigenliebe und manch anderem. Doch objektiv bleibt es Verrat.«

So sah es auch Valentin Falin, über Jahrzehnte einer der führenden Deutschlandpolitiker in Moskau. Er bemängelte, dass sich Gorbatschow »mit Kleingeld begnügt« und nicht einmal durchgesetzt habe, »dass die NATO auf eine Osterweiterung verzichtet«. Sein Urteil: »Das war eine Variante des Münchner Abkommens, wir haben über den Kopf der DDR hinweg alles ausgehandelt, wir haben dieses Land verraten.« Den Grund dafür sah er in Gorbatschows persönlichen Ambitionen: »Er hat nicht das Land gerettet, sondern nur seine eigene Position.«

Im Gegensatz zu Egon Krenz und Valentin Falin sah Gorbatschows Berater Georgi Schachnasarow die deutsche Einheit bereits damals vor dem Hintergrund der »Perestroika«-Politik der Sowjetunion. Er beantwortete die Frage nach Verrat und Bündnistreue so: »Wenn man vom Standpunkt des früheren Systems ausgeht, als es zwei Machtblöcke gab und jeder für seinen Teil verantwortlich und verpflichtet war, seine Verbündeten zu unterstützen, dann ja, selbstverständlich. Im Rahmen dieses Ganzheitssystems hatte die Sowjetunion ihre Pflicht nicht erfüllt. Aber im Zusammenhang mit dem Begriff des Neuen Denkens und vor dem Hintergrund der veränderten Welt galt es, sich neuen Realitäten zu stellen. Und in diesem Zusammenhang war es unsere Pflicht, so zu handeln, wie Gorbatschow es tat. Wenn das deutsche Volk beschlossen hatte, dass es in einem Staat leben wollte, dann war es sein eigenes Recht, und deswegen durften wir uns nicht einmischen.«

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