Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!". Clara Schumann, Johannes Brahms und das moderne Musikleben онлайн

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Clara Schumann erhielt von der Klinik regelmäßig Nachrichten über die aktuellen Entwicklungen, zunächst wöchentlich, später alle zwei Wochen. Als Brahms und Joachim endlich Robert Schumann in Endenich aufsuchen durften, konnten sie ihn zunächst nur als wirr vor sich hinfaselnden Kranken beobachten. Auch der Berliner Freundin Mathilde Hartmann wurde gestattet, Robert »hinter einer Gardine« zu betrachten. Ihren Mann wie ein Tier im Käfig zu beobachten war Claras Sache nicht. Verständlich, dass sie in ihrem Tagebuch notierte, sie »ertrüge es ja nicht, ihn so zu sehen«.149 Später durften die Freunde auch mit dem Patienten sprechen. Nach einem halben Jahr wurde Clara im September 1854 gestattet, Briefkontakt mit ihrem Mann aufzunehmen. Sie nutzte diese Möglichkeit unverzüglich, allerdings kam der Schriftverkehr im Mai 1855 zum Erliegen, weil sich der Gesundheitszustand erheblich verschlechterte. Was der Freundeskreis wahrscheinlich nicht erkannte oder sich nicht eingestehen wollte: Roberts fortschreitender Zerfall war unaufhaltbar. Schon lange bevor er verstarb, existierte die Persönlichkeit nicht mehr, die Robert Schumann einmal gewesen war – der Liebende, der Vater, der Künstler, der Intellektuelle. Um nicht selbst vollends zu verzweifeln, tat Clara gut daran, für sich und ihre Kinder Robert so in Erinnerung zu behalten, wie er vor dem völligen Zusammenbruch war. Für Robert Schumann gab es keine Aussicht auf Heilung. »Melancholie mit Wahn«, lautete die Diagnose im Aufnahmebuch der Klinik am 4. März 1854, die dann nach seinem Tod am 29. Juli 1856 mit dem Bleistiftzusatz »Paralyse« versehen wurde.150 Wie die Krankenakten, Arztberichte und Analysen der Obduktion nahelegen, litt Schumann an hirnorganischen Abbauprozessen, die charakteristisch sind für eine syphilitisch bedingte progressive Paralyse.151 Die Fakten belegen, dass weder Clara und Johannes noch die behandelnden Ärzte die Entwicklungen hätten beeinflussen können: Schumann hatte sich wohl schon 1831 wahrscheinlich bei seiner Leipziger Geliebten Christiane Apitzsch infiziert, die er in seinen Tagebüchern »Christel« oder auch »Charitas« nannte. Im Laufe der Jahre plagten ihn immer wieder Kopfschmerzen, Depressionen und Aggressionen, die allerdings seine höchst produktive künstlerische Aktivität noch nicht beeinträchtigten. Aber es gab kaum zusammenhängende Monate, in denen sich das Leiden nicht bemerkbar machte. Ohne Claras teilnahmsvolle Pflege wäre das Aus wahrscheinlich schon früher gekommen. Verhindern konnte sie es letztlich nicht. »Was muß die arme Frau leiden!«, schrieb Brahms an Joachim.152 Johannes besuchte Robert Schumann mehrfach und hielt Clara und enge Freunde wie Joseph Joachim auf dem aktuellen Stand. Claras Mann schwankte zwischen apathischem Vor-sich-Hintranen, homöopathischen Dosen von lichten Augenblicken und konfusem Gebrabbel »mit einer schauerlichen Eile und Angst von dem, was ihm die Stimmen zuflüsterten oder auch die Ärzte, er verwirrte beides«, wie Johannes es formulierte.153 Letztendlich indes »sieht es schlimm, ja trostlos aus«.154 Die Hoffnung der Freunde, wie Johannes schrieb, dass eines Tages »Fr. Sch. ihn pflegen könnte«,155 zerschlug sich bald. Robert Schumann dämmerte zwei Jahre lang dem Tod entgegen.

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