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Christoph Keller

Solange die Löwen nicht schreiben lernen

Vom Lesenschreiben der Welt

Limmat Verlag

Zürich

Für meinen Bruder Michael

(1958–2020)

Lass uns über etwas Fröhlicheres reden. Gibt’s Neues von der Cholera in Odessa?

Sholem Aleichem, aus «Hodl»

Solange die Löwen nicht schreiben lernen

Poetikvorlesungen 2020 der Universität St. Gallen

Herzlich willkommen zum Eröffnungsvortrag der öffentlichen Poetik- und Literaturvorlesungen der Universität St. Gallen. Ich bedanke mich, dass ich eingeladen worden bin, und ich bedanke mich, dass Sie gekommen sind. Das ist nicht selbstverständlich – die Zeiten sind pandemisch, es braucht etwas Mut. Trauen wir uns diesen zu, tragen wir uns Sorge, indem wir respektvoll Abstand halten, und an jene denken, denen es nicht möglich ist, hier zu sein, die uns aber über Livestream von zu Hause aus folgen. Es sind schwere Zeiten, für mich auch privat: Ich möchte diese Vorlesungen meinem kürzlich verstorbenen Bruder Michael widmen.

Drei Abende gilt es, hier zu sein, sichtbar und unsichtbar. Ich stelle mir diese in etwa so vor – halt! «In etwa» deutet bereits einen meiner literarischen Tricks an, jenen der Abschweifung – nochmals halt! Warum so salopp «Trick» sagen und nicht etwa, wie es sich bei einer or­­dent­lichen Vorlesung gehört: «literarisches Verfahren»? Weil Schriftsteller, halten sie etwas auf sich, Trickster sein müssen, keine, welche die Buchhaltung fälschen, sondern ­solche, die das Leben mit Tricks aufmischen, verfälschen, also möglicherweise verbessern, und neu, also besser, anrichten, wie es diese in zahllosen Mythologien anzutreffende Figur tut – und die deshalb so geliebt wird, weil ihr spielerisch nicht ganz zu trauen ist – ah!, geliebt werden will der Herr Schriftsteller auch noch: Fällt ihm keine bessere Methode ein, Freundinnen und auch gleich Feinde zu gewinnen als – aber ich schweife ab.

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