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Wenn man also bei der Erforschung der Biographie von Ernst S. sich nur auf schriftliche Quellen stützen wollte, hätte man zum Beispiel nie erfahren, dass Oberst Birenstihl seine Offiziers-Freunde zur Hinrichtung eingeladen hat, um sie zu unterhalten. Diese Einladung war nämlich reglementswidrig und hat offenbar keine Spuren in den Akten hinterlassen, jedoch präzise Erinnerungen im Kopf von beteiligten Offizieren, die allesamt schockiert waren und von denen keiner ein Interesse hatte, die Armee schlechter zu machen, als sie ist: alles Leute, welche die Hinrichtung des Ernst S. «sonst» ganz in Ordnung fanden. Wenn nun mehrere mündliche Zeugnisse aus solch unverdächtigen Quellen übereinstimmen, so darf man das betreffende Faktum wohl als erhärtet betrachten.
Auch der Soldat Lamprecht, welcher vor unserer Kamera sich erinnert und diese Erinnerung aufarbeitet; der am Tatort Auskunft gibt über das Ereignis und ausserdem kein politisches Interesse am Frisieren von Tatsachen hat (er ist kein Prominenter, kein Politiker, der seine Worte abwägen muss): Die Erschiessung hat sich seinem Gedächtnis eingebrannt, lag dann tiefgekühlt jahrzehntelang auf dem Grund seiner Erinnerung und taut jetzt vor der Kamera auf: Sie ist frisch und präzis, sie hat ihn geprägt. Sie lässt sich ausserdem kontrollieren und vergleichen mit anderen mündlichen Zeugnissen. Von den Eindrücken der Soldaten steht nichts in den Akten, denn über die Akten verfügen Offiziere, nicht Soldaten. Die Schrift-Gelehrten beherrschen das Schriftliche, und ein Historiker, der die schriftlichen Quellen fetischisiert (was man von Bonjour nicht sagen kann) und zur einzigen Auskunft erhebt, schreibt bald automatisch eine Geschichte der Herrschenden, und die wird bei uns im Handkehrum zur herrschenden Geschichte (auch «objektive Geschichte» genannt).