Читать книгу Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie онлайн

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Abb. 1: Interview mit Lehrkraft B, Grundschule (0:11:16:0–0:12:11:8)

Die Frage der Interviewerin, ob denn ein Kind während des Lockdowns „untergegangen“ sei, verneint die Lehrkraft nachdrücklich: „NE:.“ (Zeile 1) Die Bewertung dieses Sachverhalts bricht sie ab und verleiht dann ihrem Erstaunen Ausdruck darüber, wie „TOLL“ (Zeile 5) der Unterricht mit Lernpaketen geklappt habe. Als Bestätigung und gleichzeitige Legitimation dieser Aussage erzählt sie nun, wie routiniert der Unterricht per Lernpaket funktionierte (Zeilen 8–9); die Pointe der Geschichte besteht aber gerade nicht im Nachweis der Routine und deren Erfolg, sondern in der Darstellung der Ausnahme, die sie erlebte. Die Einschränkung, dass zwar die allermeisten, aber doch nicht ganz alle die Lernpakete abholten, bearbeiteten und wieder zurückbrachten, fungiert hier als Einleitung in die ausführliche Erzählung, in deren Zentrum das Kind, von dem „irgendwie nie“ (Zeile 12) etwas kam, steht. Die Lehrkraft erzählt, auf das Stilmittel der zitierten Gedankenrede zurückgreifend und damit das footing wechselnd (vgl. Goffman 1981), wie sie selbst auf dieses Ausbleiben reagierte. Dieses erzählte Ich wird zuerst als pflichtbewusste Lehrkraft dargestellt, die sich Gedanken darüber macht, wieso die Lernpakete des Kindes ausbleiben. Im Fortgang der Geschichte zeigt sich jedoch, dass das erzählte Ich den Gedanken keine Taten folgen lässt, die während des Lockdowns etablierte Routine, nämlich die Lernpakete einfach in den Briefkasten zu werfen, nicht durchbricht und nicht anruft. Die Darstellung der Untätigkeit der Lehrkraft mag narrativ geschickt sein, denn damit steigert sie bei der Zuhörerin die Spannung auf die Auflösung des Problems. Sie enttäuscht aber so gleichzeitig die Erwartungen, welche die Zuhörerin an eine pflichtbewusste Lehrkraft stellt: Das erzählende Ich stellt das erzählte Ich in einem äußerst negativen Licht dar. Das face (vgl. Goffman 1981) des erzählten Ichs wird im Fortgang der Geschichte jedoch durch das Kind gerettet. Narrativ wird das Kind hier zur Heldin, denn es bringt wider Erwarten „für ALLe wochen (-).h !ALL!es“ (Zeile 19) zurück: Der Unterricht per Lernpaket hat doch funktioniert, die Sorgen der Lehrkraft, dass das Kind nicht arbeite, waren unbegründet, das Ausbleiben des Nachfragens nicht weiter tragisch. Das Lachen, welches die Auflösung der Erzählung begleitet, unterstreicht dies. Es kommentiert nicht nur das Handeln des Kindes und unterstreicht damit den inszenierten Erwartungskontrast. Es ist auch ein Lachen der Erleichterung, da selbst bei diesem Kind, der Ausnahme, der Unterricht mit Lernpaketen trotz der Untätigkeit der Lehrkraft nicht komplett missglückte. Das Kind rettet hier Lernsetting und Ansehen der Lehrkraft gleichermaßen. Aus dieser Erfahrung schöpft die Lehrkraft, wie die letzte Zeile (28) zeigt, die Hoffnung, dass der Unterricht unter Pandemiebedingungen auch mit den neuen Schüler*innen wieder gut klappen wird.

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