Читать книгу SPACE 2022. Das aktuelle Raumfahrtjahr mit Chronik 2021 онлайн
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Nachtrag II
Deutlich ernster war der zweite Vorfall, der erst am 1. September durch einen Artikel im „The New Yorker“ bekannt wurde. Danach hat es gegen Ende der angetriebenen Phase des Fluges ein Warnlicht im Cockpit gegeben, das einen zu flachen Steigwinkel anzeigte. Die Folgen wären neben einer zu geringen Gipfelhöhe (und tatsächlich erreichte VSS Eve statt der erhofften 90 Kilometer nur 86 Kilometer) gefährliche Auswirkungen auf den so genannten „Cone“ gewesen. Dabei handelt es sich um einen imaginären Kegel im Raum, den das Fluggerät nicht verlassen darf, soll das Energiemanagement für den antriebslosen Rückflug zum Flughafen erfolgreich sein. Statt abzubrechen, wie es für diesen Fall vorgesehen war, lief das Triebwerk weiter bis zum Brennschluss. Dies war die Entscheidung der beiden Piloten, denn SpaceShip2 läuft analog. Es gibt an Bord keine computergestützten Entscheidungsprozesse. Und die Piloten entschieden sich dafür, den Flug fortzusetzen. Inwieweit der Umstand mitspielte, dass der Chef hinten in der Kabine saß und einen Erfolg erwartete, bleibt der Vermutung überlassen. Immerhin, die beiden Piloten kannten ihr Fluggerät gut genug, um beurteilen zu können, was geht und was nicht. Und welche Reserven sie in Anspruch nehmen konnten. Und Reserven in Anspruch nehmen mussten sie. Für einen Zeitraum von einer Minute und 41 Sekunden flog VSS Unity unterhalb des zugewiesenen Luftraumes, wie eine unabhängige Quelle (Flightradar24) bewies. Ein Hinweis darauf, dass das Energiemanagement für den Gleitflug zurück zur Basis gefährlich beansprucht wurde. Nach 101 Sekunden kam VSS Unity zwar wieder in den so genannten „restricted airspace“, aber nur weil dieser – nun schon recht nahe am Flughafen – ab da ohnehin bis zum Boden reichte. Es war also notwendig gewesen, den Anflug so weit wie möglich zu strecken um eine möglichst große Distanz zu überbrücken. Dies gelang am Ende. Das Verlassen des zugewiesenen Luftraums meldete Virgin aber zunächst nicht der FAA. Ein weiteres Manko. Eine pikante Randnote ist außerdem, dass Virgin erst kurz vor Bransons Flug seinen legendären Testpiloten und Flugdirektor Mark Stucky auf beschämende Weise gefeuert hatte (via Zoom!). Stucky hatte immer wieder intern hartnäckig auf die laxe Handhabung von technischen Problemen und auf Sicherheitsmängel bei Virgin hingewiesen, und immer wieder nachdrücklich mehr technisches Personal gefordert.