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Völlig unverständlich erscheint diese Ungleichbehandlung, wenn man als Parallelvorgang auf der einen Seite die mittlerweile fast schon euphorische Akzeptanz einer architektonischen „Ost-Moderne“19 in einer breiten Öffentlichkeit registriert und auf der anderen Seite die weiterhin praktizierte Abwertung der ostdeutschen Bildkunst betrachtet. Im Fall mancher Außen-Wandbilder, die in zentralen Stadtlagen von ostdeutschen Künstlern geschaffen und inzwischen mit Staats- und Stiftungsgeldern auf honorige Weise restauriert wurden, entsteht dabei die paradoxe Situation, dass deren Rettung vor dem Verfall nicht mit dem künstlerischen Eigenwert, sondern durch deren Verbindung mit dem Baukörper begründet wird. Als ein exemplarisches Beispiel dafür ist der Fall des zwischen 1969 und 1974 von Willi Neubert (1920–2011) geschaffene Emaillefrieses Die Presse als Organisator unweit des Alexanderplatzes am Gebäude des Berliner Verlags zu nennen. Neuberts Wandbild wurde Anfang der 1990er Jahre, ohne größere mediale Erregung zu entfachen, mit einer trivialen Steakhouse-Werbung auf Holzpaneelen überplankt, bis es 2021, im Zuge der Generalsanierung des Gesamtgebäudes durch das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner, restauriert und wieder sichtbar gemacht wurde. Wenn ein heute der „Ost-Moderne“ zugeordneter Baukörper in den 1990er Jahren Investorenplänen oder dem „Abbau Ost“ zu weichen hatte, dann konnte das im besten Fall „überlebende“ Kunstwerk keineswegs auf die Akzeptanz der Kunstrichter hoffen. So erging es zum Beispiel Willi Sittes 1977 fertiggestelltem Wandbild Kampf und Sieg der Arbeiterklasse in Suhl. Es lagert seit der 1992 erfolgten Demontage vom ehemaligen Gaststättenkomplex „Stadt Kaluga“ an der Stadthalle – klimatisch ungeschützt, verpackt in über hundert Munitionskisten ssss1 – in einem Depot des dortigen Stadtmuseums. Die Form der Deponierung verkörpert, gewollt oder nicht, die vermutete Sprengkraft ästhetischer Feindbildung, auch wenn es seit Jahren ernstzunehmende Bestrebungen gibt, Sittes Werk wieder einen Platz im städtischen Raum zuzuweisen.

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