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Willi Sitte und das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg
Es blieb aber nicht beim sezierenden Blick auf Werke und Personalstile. Der Bilderstreit beleuchtete ebenso die persönlichen Haltungsmodelle und Lebensformen der Künstler – Umstände, die anderswo kaum an die Öffentlichkeit gelangen. Hier waren es vor allem die Haltung zur SED und die Frage nach einer möglichen Kollaboration mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die im Fokus des Interesses standen. In vielen DDR-Städten kursierten in den Kunstszenen privat erstellte Listen Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit. Das dadurch nun sichtbare Maß von Denunziation führte anfangs zu eruptiven Täter-Opfer-Konstellationen, auch zu Fehlverdächtigungen, bis in den 2000er Jahren eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten entstand, die sich in abschließender Gründlichkeit, leider aber oft monokausal diesem Thema zuwandten.21 Einen angemessenen Weg beschritt dabei der hallesche Kunsthistoriker und Wegbegleiter Willi Sittes, Wolfgang Hütt (1925–2019), der in jahrelanger Hinwendung zum überlieferten Aktenmaterial des MfS die Verstrickungen von Kunst und Macht im Bezirk Halle (Saale) akribisch untersuchte.22 Die erhobenen Tatbestände wurden einerseits als Belege für eine erwiesene „Staatsnähe“ oder „Staatsferne“ der Künstler genommen, andererseits beeinflussten diese Diskussionen die künstlerische Wertschätzung und veränderte das Wissen um privates Geschehen den Blick auf die Bildwelten. Insofern verwundert es nicht, dass gerade Willi Sitte, dessen „konstitutive Widersprüchlichkeit“ als Maler und Funktionär auch zum Thema dieser Retrospektive beigetragen hat, zu einem exemplarischen Fall des Bilderstreites werden konnte.