Читать книгу Corona im Kontext: Zur Literaturgeschichte der Pandemie онлайн

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Seit der Antike entfalten sich Epidemieliteratur und Erudition in Interaktion: Dies gilt für Lukrez, der Thukydides’ Beschreibung der Athener Pseudo-Pest im sechsten Buch seines Lehrgedichts De rerum natura (1. Jh. v. Chr.) aufgreift; Girolamo Fracastoro, der mit seinem Konzept des contagium vivum die moderne Epidemiologie begründet (De contagione et contagiosis morbis et eorum curatione, 1546), versifiziert in Syphilis sive Morbus Gallicus (1530) seine medizinischen Erkenntnisse (Fabre 1998: 15, 118f.). Auf wissenschaftliche Expertise setzt auch die Populärliteratur der Gegenwart; so berät das Lilloiser Pasteur-Team Franck Thilliez bei der Kreation jener Influenzamutation, die in Pandemia (2015) das Terrain für den ultimativen bioterroristischen Coup bereitet: den versuchten Re-Start einer Pestpandemie, ausgehend von einem Pariser Kostümfest, das der Attentäter in der Maskerade eines langgeschnäbelten Pestdoktors besucht.

Über die Jahrhunderte liefert die Belletristik so manchen gesellschaftskritischen Kommentar. Alessandro Manzoni integriert in den zweiten Band seiner Promessi sposi eine Digression zur Mailänder Pestepidemie 1630, die – vom „verstockte[n] Leugnen“ über sabotiertes Contact-Tracing bis zum Konspirationsnarrativ – frappierend aktuell anmutet. Manzoni kritisiert die inadäquate Reaktion der Autoritäten, aber auch das „Benehmen der Bevölkerung“ in ihrer „stumpfsinnigen, tödlichen Zuversicht“; pointiert seine Analyse der heute digital multiplizierten „Masse allgemeinen Aberwitzes“, die „Erdichtungen der ungelehrten Menge“ und „der gebildeten Leute“ amalgamiert. Klassische Literatur scheint allerlei Irrglauben zu authentifizieren: „[…] man führte den Livius, Tacitus, Dio, was sage ich? Homer und Ovid und viele andere Alte an […].“ Mit ironischem Blick auf das vorhandene Corpus skizziert der Autor das Projekt einer konsequent aufbereiteten „Geschichte der Pest“: „[…] die Berühmtheit der Bücher hängt doch eben von so vielen Dingen ab!“


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