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Deutscher Rock und europäisches Selbstverständnis

»Deutsch oder nicht deutsch, das waren Grenzen, die wir nicht gemacht hatten. Es ging um Inhalte, auch musikalische, da haben wir wenig darüber nachgedacht, ob das jetzt ›Kraut‹ oder ›deutsch‹ war. Es war eine Herausforderung. Wie so etwas dann genannt wird, ist egal.«

– Lothar Stahl –

Man strebt nach Gleichberechtigung und Akzeptanz, sucht den Schulterschluss mit der internationalen Szene – einen deutschen Kulturmerkantilismus jedoch will niemand. In den Wohngemeinschaften diskutieren eifrige Musikfreaks bei Tee und Räucherwerk stundenlang darüber, inwieweit die neue Rockmusik deutsch sein sollte oder nicht. Viele Musiker hingegen sehen sich bereits als Kulturschaffende in einem zusammenwachsenden Europa, und so klingt immer öfter auch der Gedanke einer gemeinsamen europäischen Identität an.

Grundsätzlich herrscht nationalem Denken gegenüber große Skepsis. Die Erfahrungen des Dritten Reiches und der Kalte Krieg sind noch zu präsent. Hans-Joachim Roedelius, der mit der Gruppe Kluster (später Cluster) zu den Pionieren der experimentellen deutschen Musikszene zählt, wird von der Geschichte regelrecht hin- und hergeschubst. Im Jahre 1934 in Berlin geboren, macht Roedelius über Kontakte des Vaters zur Babelsberger Filmszene eine kurze Karriere als UFA-Kinderstar, bevor man ihn 1945 noch zur Hitlerjugend einzieht. Nach dem Krieg landet die Familie auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs. Er flieht in den Westen, kehrt auf Besuch zurück und verbringt als vermeintlicher Spion zwei Jahre in einem DDR-Gefängnis, bis er 1960 endgültig in den Westen übersiedelt. Dort schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs vom Gärtner bis zum Müllsammler durch. »Ich fühlte mich damals nie als Deutscher«, sagte Roedelius im April 2005 in einem Interview mit dem Londoner Guardian. »Natürlich ist Deutsch meine Muttersprache, aber ich glaube, ich lernte sehr früh, etwas kosmopolitischer zu sein.«

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