Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Daher sind auch die Gesetze der Künste einheitlich und ewig. Die Unterschiede der Nationen und Zeiten reihen sich nur den Verschiedenheiten ein, die an sich schon je nach den Mitteln der Nachahmung für die Art und Weise, wie sie zu geschehen hat, von selbst gegeben sind. Daher die innere, engste Verwandtschaft, der mächtige Zug der Wesensgleichheit, der alle die miteinander verbindet, die zu allen Zeiten und an allen Orten das Größte in der Kunst hervorgebracht haben. Dadurch aber waren sie die Größten, dass in ihrem Geist und Gemüt jene Einheit als eine unerschütterliche Gewissheit feststand, die nach dem ewig sich gleichbleibenden Ziele sie immer wieder den gleichen Weg finden lassen musste.

Diese Wege in den verschiedenen Gattungen der Kunst zu erkennen, ist die Aufgabe einer produktiven Kritik; ihre unabänderlichen Gesetze festzustellen muss die Theorie der Kunst bestrebt sein. Was das Genie als ein göttliches Vermögen in sich trug, demgemäß es sich schaffend betätigte, soll sie in seinen Äußerungen betrachten und das Gleichmäßige, immer Wiederkehrende darin, soweit es erkennbar ist, in festen Normen aussprechen. Es ist nicht erweisbar, dass ein Homer, ein Aischylos, Sophokles oder Shakespeare bei ihrem Dichten mit klarem Bewusstsein solchen festen, theoretischen Normen gefolgt sind: wohl aber müssen dieselben, wenn sie richtig erkannt sind, überall in den Meisterwerken des Genies wiedergefunden werden; sie müssen daher ebenso wohl das Verständnis der Kunstwerke zu eröffnen vermögend sein, ihren Genuss zu vertiefen, das ästhetische Urteil über das Beste wie über das Minderwertige zu begründen, als die künstlerische Produktion selbst auf ihrem Wege zu leiten und vor dem Abirren zu sichern. So hat sich Aristoteles den Griechen, Lessing den Deutschen, so haben beide sich der Welt als Lehrer und Führer erwiesen.

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