Читать книгу Die Stimme des Atems. Wörterbuch einer Kindheit онлайн

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Ich laufe ihr nach; auf der Schwelle, als ob ein Verbot mich zurückhielte, bleibe ich stehen und lehne mich gegen den Türrahmen. Sie stellt die Stühle mitten ins Zimmer, legt erst die Kissen auf die Sitze, dann die Daunendecken über die Lehnen. Sie zieht die Wolldecken herunter, tritt an ein Fenster, schüttelt sie aus und wirft sie über die Federbetten. Nun greift sie nach den Laken. Ich möchte reklamieren und bringe kein Wort über die Lippen. Plötzlich ist mir, das Dach sei weggeblasen, wir schwebten beide draussen im grauen Herbstwind. Der Raum verkommt zur Fläche, die Hantierungen der Mutter zerfallen in wirre Bruchstücke, ich denke das Wort «Mutter», und die zwei Silben brechen auseinander, mu, ter, bedeuten nichts mehr, sind ein sinnloses Geräusch. Warum nicht termu, muret, trume, mertu? Was ist der Unterschied?

Ich drehe mich weg, gehe zur Treppe und lasse mich, eine Hand am geschwungenen Geländer, Stufe um Stufe hinabfallen. Mir schwindelt. Der Spielzeugschrank gähnt offen, ich stosse die verglaste Wohnzimmertür auf, klettere auf meinen Stuhl und das Rosshaarkissen, stütze die Ellenbogen auf und das Kinn in die Hände und starre durch die Fenster zum Wald hinauf, der sich dünn wie graues vor weissem Seidenpapier durch den Herbstnebel abzeichnet, und versuche mit dieser Niederlage vor mir selbst zurechtzukommen. Warum bin ich unzufrieden und traurig? Warum aufsässig? Warum bin ich, wie ich bin? Warum gibt es mich überhaupt? Kämpfend gegen die Tränen, zähle ich die Baumwipfel, denn zählen kann ich schon lange.

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