Читать книгу Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer. Werner Kriesi hilft sterben онлайн

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Meine Mutter litt unsäglich

Herr Kriesi, wie wird man Freitodbegleiter?

Die Bitte meines Gemeindemitglieds, bei seinem Freitod dabei zu sein, war für mich ein Schlüsselerlebnis. Dieser lapidare Satz, als wir uns nach einem Gespräch über allgemeine Dinge vor der Kirche verabschiedeten: «Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer …» Er hat sich mir unvergesslich eingebrannt. In seiner Wirkung verdoppelt und verdreifacht durch die grässliche Erfahrung mit meiner Mutter. Ein Sterbemartyrium von drei Jahren! Mir kommt noch immer das Elend, wenn ich daran denke. Aus heutiger Sicht ein medizinisches Fehlverhalten, her­vorgerufen dadurch, dass die medizinischen Möglichkeiten unbedacht, jedenfalls zu lange angewendet wurden. Dass man sie nach einer geschenkten Bewusstlosigkeit nicht hinübergleiten lassen konnte. Was für ein Irrsinn!

Zu Beginn der Achtzigerjahre erlitt meine Mutter zwei Hirnschläge, die sie mit leichten Beeinträchtigungen zurückließen. Nach dem dritten Hirnschlag einige Jahre darauf fiel sie in Bewusstlosigkeit. Sie war 76 Jahre alt. Hätte sie keine Magensonde und somit keine künstliche Ernährung erhalten, wäre sie wohl nach wenigen Tagen gestorben. Doch so überlebte sie. Als sie nach Wochen wieder erwachte, war sie am ganzen Körper gelähmt. Keinen kleinen Finger konnte sie mehr bewegen, keine Fliege mehr aus dem Gesicht verjagen. Auch sprechen konnte sie nicht mehr. Doch geistig war sie noch da. Klar im Kopf. Sie verstand alles, was gesprochen wurde, und musste Sprüche von frommen Leuten über sich ergehen lassen. Sätze, die in der lutherischen Übersetzung einen zynischen Klang haben. Aus Psalm 68 etwa: «Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch.»* Denn es ist ja nicht Gott, der die Last auferlegt, sondern in diesem Fall die medizinische Technik.

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