Читать книгу Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer. Werner Kriesi hilft sterben онлайн

7 страница из 65

Dieser gelebten, intuitiven Moral steht das Nachdenken ge­­genüber. Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Moral, der Vergleich und der Kontrast mit anderen moralischen Orientierungen, kann den Blick öffnen. In der Philoso­phie wird das Nachdenken über die Moral als Ethik bezeich­net. Sie zeigt, auf welchen häufig nicht bewussten Voraussetzun­gen unsere intuitiven und von der Tradition geprägten Urteile be­­ruhen. Die Ethik hält Begriffe, Prinzipien und Argumente parat, mit denen wir Ereignisse unter neuer Perspektive begreifen, einordnen und bewerten können. Dabei gilt der Verstand als das Mittel der Wahl. In der Praxis, der gelebten Moral hingegen führt er uns nie allein, sondern es leiten uns immer auch unsere Gefühle und unsere Intuition.

Auf was sollen wir uns nun verlassen, wenn wir vor kritischen Situationen stehen? Wenn wir zweifeln, ob wir den Sterbewunsch des Angehörigen, der Freundin mittragen und unterstützen sollen? Wenn wir selber sterben wollen, aber nicht können? Sollen wir der Tradition folgen, dem, was bisher üblich war? Sollen wir uns nach den Handlungsanwei­sungen der philosophischen oder theologischen Ethik richten, nach ihren meist allgemein formulierten Sätzen? Oder sollen wir auf unser Gefühl und unsere moralische Intuition hören, die uns schon den richtigen Weg weisen werden, wenn es konkret wird? Wie lässt sich die Brücke von den abstrakten Vorgaben der Theorie, den grundsätzlichen Überlegungen zum konkreten Einzelfall schlagen, der immer anders ist als alle anderen? Ist es nicht umgekehrt riskant, sich nicht von der Theorie aufklären zu lassen, sondern immer nur den eingespielten Mustern, Bauch und Herz zu folgen? Welchen Stellenwert nimmt bei alldem die Religion ein, die mit Überlieferung und Offenbarung, mit Gottes Wort und Willen argu­mentiert?

Правообладателям