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Mutter Siffert, geb. Achermann

Mama Siffert in ihrem Eigenheim bei Freiburg. Gleich im Vestibül ein Siffert-Plakat, eingerahmt von zwei brennenden Kerzen, ein Heiligenbild. In der Stube die Trophäen vieler Siege. Ein Wechselrahmen, darin ein Artikel aus dem «Blick»: «Mama Siffert ist stolz auf ihren Sohn.» Sie kennt sich aus mit Formel-I- und Formel-II-Wagen, mit Prototypen, Porsches und Alfa Romeos. Wenn sie von den Trophäen spricht, sagt sie: Als ich den Preis gewann. Frau Siffert ist gebürtig aus Willisau, wo sie ihren Mann kennenlernte. Kurz nach der Heirat liess sich Fam. Siffert-Achermann in der Unterstadt nieder, in dem Teil, der früher «Tanzstadt» hiess, neben dem Restaurant «Tirlibaum» an der Place Petit St-Jean. Dort betrieben sie ein Milchgeschäft, zwei Jahre, es rentierte nicht. Seppi kam dort zur Welt. Der Vater sei bald keiner geregelten Beschäftigung mehr nachgegangen, entmutigt vom Misserfolg des Milchladens. Ein darauffolgender Mineralwasserhandel habe auch nicht recht funktioniert. So habe sie in der Schokoladenfabrik Villars gearbeitet, auch als Seppi schon erwachsen war, und sei vor Müdigkeit oft mit den Fingern in der Schokolade steckengeblieben (600 Franken im Monat). Auch habe sie für 1.10 Franken pro Stunde die Räume der Universität geputzt. Dazu noch der Haushalt mit den vier Kindern (Seppi und drei jüngere Schwestern). Eine Zeitlang hat ihr Seppi beim Lumpensammeln geholfen, «id Hudle gange», und später haben die beiden Narzissen verkauft an der Reichengasse. «Mein Mann hat Seppi sehr streng gehalten, um 18 Uhr musste er zu Hause sein, auch sommers.» Die Ehe war nicht harmonisch, die Gatten leben heute getrennt. Bei den familiären Auseinandersetzungen scheint Seppi immer die Partei der Mutter ergriffen zu haben. Sie hat es ihm vergolten durch intensive Förderung seiner Rennkarriere. Als er noch keinen Namen hatte, fuhr sie mit ihm quer durch Europa an die verschiedenen Rennplätze und besorgte ihm den ambulanten Haushalt, zusammen mit Yvette, seiner ersten Freundin. Seppi war auf Sparsamkeit angewiesen, hatte im Gegensatz zu fast allen Rennfahrern kein Startkapital und keinen reichen Vater. Frau Siffert wusste, wie gefährlich die Rennen sind, sie hat deshalb ihren Sohn immer ermahnt, bei besonders schwierigen Stellen zu beten. Sie glaubte ihn durch eine besondere Fürsprache des Himmels geschützt, hatte kaum je Angst, auch nicht nach dem Renntod von Jim Clark und Jochen Rindt. «Siehst du, Mama», habe ihr Seppi auf dem Nürburgring einmal gesagt, «heute in dieser besonders schwierigen Kurve habe ich nicht an den Tod gedacht, sondern an einen Wagen, den ich besonders günstig zu verkaufen hoffe.» Die Familie habe zwar manchmal gedarbt, aber nie gebettelt; Vikar Moser von St. Peter habe ein Erstkommunionkleid für Seppis Schwester schenken wollen, aber das hätten sie nicht akzeptiert. Seppi habe unter einem brutalen Primarlehrer gelitten, «war oft wie im Schneckenhaus, hat es auch mit dem Vater nicht leicht gehabt». Als er zu Frangi (Unterstadt, Nähe Gaskessel und Gefängnis) in die Lehre ging, hat er abends schwarz gearbeitet, so dass die Nachbarn wegen Nachtlärm klagten. Der Polizist, welcher die Sache untersuchte, sagte abschliessend: Da kann man nichts machen, man muss dankbar sein, wenn ein Jüngling so viel Fleiss zeigt, auch nachts. Der Fleiss ist so selten bei den Jungen! Mit Seppis sukzessiven Frauen scheint Mama Siffert keine schlechten Beziehungen gehabt zu haben. Nur vermochte sie sich nie recht an das bourgeoise Milieu von Seppis letzter Frau Simone, der Tochter von Bierbrauer Guhl (Brasserie Beauregard), zu gewöhnen. Mit Yvette, der Tochter aus dem Volk, ging es besser. Yvette war die erste Freundin, aus der «basse ville» stammend, Seppi lebte ohne Formalitäten mit ihr zusammen. Nach den ersten Erfolgen in England lernte er das Mannequin Sabine kennen, das er zivil heiratete. Und als der ganz grosse Ruhm einsetzte, da kam auch die Bierbrauerstochter Simone, welcher er zivil und kirchlich angetraut wurde. Einerseits die Simone Guhl von der Brasserie Beauregard, andererseits der Paul Blancpain von der Brasserie Cardinal, welcher die gutgehende Garage neben dem Bahnhof für Seppi in Schwung hielt: In Freiburg entgeht man den Bierbrauern nicht. Arbeitsbeschaffung für die Proleten in der Unterstadt, welche sich nach Feierabend vom gleichen Bier benebeln lassen, das sie tagsüber produzieren. Beauregard und Cardinal bilden heute mit Wädenswil, Salmen et cetera eine Holding, welche den Markt in einzelne Kuchenstücke aufteilt. Zuvor hatte Beauregard einen Umsatz von 13 Millionen Franken und einen Ausstoss von 160'000 Hektolitern. Einheirat in die wirtschaftlich herrschenden Kreise Freiburgs: Es war dem Seppi nicht an der Wiege gesungen. Aufstieg von den Untern zu den Obern.

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