Читать книгу Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 - 1994 онлайн

87 страница из 125

Mit neunzehn Jahren zog Greti Bilanz: Der Vater habe mit seiner strengen Erziehung sein eigentliches Ziel verfehlt. Wenn ich bestraft wurde, wollte ich mir nie mein Unrecht gestehen, und voll Trotz dachte ich dann: «Warte Du nur, bis ich einmal gross sein werde.» Ich glaube, kluge Überredung hätte bei mir weit mehr ausgerichtet, denn ich fragte von jeher nach dem «Warum» und werde jetzt noch von vielen ausgelacht, weil ich immer frage: «Warum?» Diese Strafen mögen auch schuld sein an dem Mangel an Selbstvertrauen, unter dem ich leide.314

Der strenge Pfarrer versagte der Tochter auch die Vergnügungen der Dorfjugend.315 Verzweifelt schaute Greti vom Fenster aus den Paaren zu, die beschwingten Schrittes zum Gasthaus zogen. War ich denn nicht jung und fröhlich! Wozu hatte ich denn heile Glieder, wenn ich sie nicht brauchen durfte? Sollte meine Jugend denn nur aus Lernen und Streben bestehen, und sollte ich das Beste, das ihr gegeben ist, die Fröhlichkeit, die Lebenslust und Lebensgier unterdrücken, nur weil ich in der menschlichen Gesellschaft den Rang einer Pfarrerstochter einnahm, den ich mir ja nicht einmal selbst gewählt. War ich denn «besser» als andere?316 Heimlich zog sie los und mischte sich unter die Tanzenden. Im Säli drehte sie einige Runden in den Armen der jungen Burschen, mit denen sie noch wenige Jahre zuvor Verstecken gespielt hatte. Lange traute sie sich nicht wegzubleiben. Nach einer Dreiviertelstunde schlich sie zurück ins Pfarrhaus, doch ihr Ausflug blieb nicht unentdeckt. Das erwartete Donnerwetter ertrug sie geduldig. Nach einer Woche eisigen Schweigens bat sie den Vater, ihr nicht mehr böse zu sein. Mit keinem Worte bat ich ihn um Verzeihung oder sprach von Reue, denn ich fühlte keine, und Reue heucheln konnte ich nicht. Ich wusste nur, dass ich es um des lieben Friedens und der Reputation meines Vaters willen nicht mehr tun würde.317

Правообладателям