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Also bleibt er, wie schon gesagt, hinter seinem Pültchen sitzen, mit fünfunddreissig resigniert, charakterlich gefestigt und bekannt für seinen geistreichen Stil. Seine Widerborstigkeit schwindet, immer weniger geht ihm gegen den Strich. Einige Zeit noch beobachtet er bitter den Zerfall seiner Berufskultur, später nennt er diesen Zerfall: Realismus. Er gilt jetzt nicht mehr als Querulant und Psychopath, er wird normal im Sinn der journalistischen Norm. Das Leben ist kurz, er möchte noch etwas davon haben, bevor seine Genussfähigkeit abnimmt. Und überhaupt, was soll der Einzelkampf, er kann sich mit keiner Gruppe solidarisieren. Kein Journalistenverein, auch keine Fraktion, kämpft für diesen Journalismus, der ihm vorschwebte.

An Sonn- und allgemeinen Feiertagen hat er manchmal noch eine Vision. Er träumt von einer brauchbaren Zeitung. Mit Redaktoren, die nicht immer von Lesern (die sie nicht kennen) schwatzen, denen man dies und das nicht zutrauen könne. Sondern welche gemerkt haben, dass sich auch der Leser ändern kann. Eine Zeitung, welche ihre Mitarbeiter nach den Kriterien der Intelligenz und Unbestechlichkeit und Schreibfähigkeit aussucht und nicht nach ihrer Willfährigkeit gegenüber der wirtschaftlichen und politischen Macht. Eine bewusste Zeitung, aus einem Guss und mit Konzept. Die sich von ein paar wütenden Anrufen und Abbestellungen nicht aus dem Konzept bringen lässt. Geleitet von einem demokratisch gewählten Chefredaktor oder Redaktionskollegium und im Besitz der Mitarbeiter. Eine Zeitung ungefähr wie «Le Monde», welche die Herrschenden einmal so sehr gestört hat, dass sie durch einen speziell gegründeten «Anti-Le Monde» liquidiert werden sollte. (Was dank der redaktionellen Solidarität von «Le Monde» misslang.) Oder eine Zeitung wenigstens, wo alle Mitarbeiter sofort streiken und den Betrieb besetzen, wenn der Verleger einen guten Mann entfernen will. Oder ein Organ, wo Leute wie Karl Kraus und Kurt Tucholsky ständig schreiben könnten. Oder ein Blatt, wo einer wenigstens nicht bestraft wird, wenn er gründlich recherchiert und brillant formuliert …

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