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Es muss zugleich festgehalten werden, dass dieser Bilderstreit – auch wenn seine Akteure mitunter die Contenance verloren – die Funktion eines „Stellvertreterdiskurses“9 der deutschen Wiedervereinigung übernahm, was ihn zwangsläufig überfordern musste. Trotz vieler Kränkungen und Fehlleistungen entwickelte sich jene Dauerdebatte um die „Ost-Kunst“ letztlich zu einer Verständigung zwischen Ost und West sowie zwischen den in der DDR möglichen Lebensentwürfen. Somit trug der Streit um die bildende Kunst des Ostens „als elementares Konflikt- und Aushandlungsmuster“10 entscheidend dazu bei, dass im Zuge der Diskussion um die Transformationsgeschichte in jüngster Zeit nicht nur Themen wie Treuhand, Elitenwechsel oder Institutionswandel Beachtung finden, sondern am Beispiel der ostdeutschen Kunst zugleich kulturell-künstlerische Aspekte diskutiert werden.

Wer heute vorhat, sich einen Überblick zum deutsch-deutschen Bilderstreit zu verschaffen, wird nicht umhinkommen, die exotische Fruchtfolge dieses „langblühenden Konfliktfeldes“ in Relation zum Topos der „blühenden Landschaften“ zu bringen, mit dem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (1930–2017) am 1. Juli 1990 den Ostdeutschen eine rosige Zukunft versprochen hatte. Es war nun aber die offenkundige Differenz, welche sich zwischen der visionären Verheißungskraft der Kohl’schen Zauberformel und der profanen Realität in den sogenannten neuen Bundesländern eröffnete, die lange Zeit eine ausgewogene Rekonstruktion der DDR-Verhältnisse überlagerte – vor allem deshalb, weil sie den Systemvergleich provozierte und von den inneren und weithin unerforscht gebliebenen Spannungslagen und -konflikten ablenkte. Erst in den letzten Jahren, vor allem im Zuge einer universitär verankerten Transformationsforschung sowie durch eine allgemeine Sensibilitätssteigerung und gesellschaftliche Hinwendung zu Formen kultureller Diskriminierung von Minoritäten, erhalten Themen wie die Ausgrenzung ostdeutscher Künstler im gesamtdeutschen Rahmen neuerdings eine Beachtung, die sie anschlussfähig für aktuelle Fragestellungen auch bei jüngeren Kulturpolitikern und Wissenschaftlern machen.11

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