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Aber sie ging jeden Morgen von Neuem auf. Und dann geschah ein kleines Wunder. Als die Klagen über den immergleichen Wind am lautesten wurden, erhob sich am 22. September von Südosten her ein leichter Gegenwind. Gleichzeitig sichteten sie an diesem Tag auch bedeutend weniger Grasflächen als bisher.
Christóbal Colón gab vom Achterdeck aus dem Rudergänger Kurs West-Nord-West vor; einen besseren konnte man wegen der widrigen Brise nicht steuern. Aber niemanden kümmerte diese Umständlichkeit. Es erleichterte alle, dass es solchen Gegenwind überhaupt gab.
Was die Bewegungen der Winde und des Meeres anging, so schien Christóbal Colón mit höheren Mächten im Bunde zu sein. Als am nächsten Tag der Wind erneut nachließ, ging das Murren der Mannschaft von Neuem los. Einige Matrosen klagten, der Wind werde nie stark genug sein, sie nach Spanien zurückzubringen. Die See sei seit der Ausfahrt viel zu ruhig geblieben. Und was geschah? Nur wenige Stunden später kam schwere See auf, und zwar so, wie die Männer sie noch nie erlebt hatten, vollkommen ohne Wind. Das Meer schwoll an und krümmte sich wie ein gewaltiger Rücken zum Buckel auf. Der Anblick des Ozeans, der sich zum Berg, zur Düne, zur Riesenwelle aufbäumte, schlug die Mannschaften in ihren Bann. Keiner hatte Ähnliches je erlebt. Bis zum Rande des Horizonts hob und senkte sich das Meer, ohne eine Spur von Schaum, ohne eine einzige Brandung, sogar ohne das Zeichen jener weißen Löckchen mit den bleiernen Ringen, von denen die See bei Sturm sonst wimmelt. Hier gab es keinen Sturm, keinen Wind. Es gab diese gespenstischen, dichten Wellen, die vorwärts rollten und ihre Erhebungen und Senkungen unverändert nach sich zogen. Wenn sie ankamen, liefen sie träge wie Kamele, wuchsen hoch wie Hügel und wälzten sich mit gemessener, unerbittlicher Langsamkeit von der Spitze ihrer Kämme in den Schoß ihrer Täler. Es waren Ausläufer von Stürmen, die in der Ferne, vielleicht Hunderte von Meilen weiter nördlich, getobt hatten. Aber das wussten die Männer nicht. Die drei Karavellen der Flotte ritten auf diesen Wellen, sie schwebten auf den Erhebungen des Ozeans, um mit seinen Mulden wieder abzusinken. Dieses so aufgeschwollene Meer ohne jeden Wind löste zuerst Bestürzung aus, bald aber nur noch Staunen und Verwunderung. Selbst der Admiral, den bis dahin nichts erschüttert hatte, bemerkte vor der Abendandacht: „Ein derartiges Wunder hat sich nur noch zur Zeit der Juden zugetragen, als sich die Ägypter zur Verfolgung des Moses aufgemacht hatten, der Israel aus der Sklaverei befreite.“