Читать книгу Das materialgestützte Schreiben aus literaturdidaktischer Perspektive. Geschichte – empirische Untersuchungen – Unterrichtspraxis онлайн

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Bei der Ausbildung einer deutschen Rhetorik spielte Christian Weise – Zittauer Schuldirektor, Verfasser von Schulkomödien und Reformator des deutschen Gymnasiums – eine maßgebliche Rolle. Als Begründer der deutschen Oratorie forderte er vom Schreibenden den Gebrauch der Vernunft ein.6 Gleichzeitig sollte der Unterricht und damit auch die zu verfassenden Reden dem Prinzip der Nützlichkeit folgen7 und den Schülern ein – berufliches – Fortkommen ermöglichen. Dies aber ging Weises Erachtens nicht durch das Abschreiben von Mustern – der Imitation –, wie es noch üblich war. Er suchte Themen aus, die die Schüler verstehen konnten und die für sie eine Bedeutung hatten; zur Gliederung des Stoffes griff er auf das antike Chrien-Konzept zurück. Die Chrie8 – auf Deutsch Bedarf, Nutzen oder Notwendigkeit – kann als in sich schlüssige Darstellung einer These verstanden werden, die Teil einer umfangreicheren Rede ist. Ihre Bedeutung, v.a. auch für die Unterweisung von Schülern, legt Weise in seinen einleitenden Worten zum dritten Kapitel Von der CHRIA dar. Es geht ihm vor allem um eine stufenweise Erhöhung der Komplexität und der Schwierigkeiten, die auch die Entwicklung des Schülers abbilden müssen.9 Die Chrie diente der Verwendung in konkreten Redesituationen und kann somit als grammatisch-rhetorische Übung verstanden werden, die die Argumentationen in zahlreiche Einzelschritte zerlegt. Das Fundament der Chrie stellt dabei die Behauptung dar, die durch einen Beweis gestützt wird. Damit steht der argumentative Kern im Mittelpunkt. Weise reduzierte die ursprünglich aus sieben Redeteilen bestehende Chrie auf vier: „potasis (das Thema der C.), aetologia (Beweis), amplificatio (Erläuterung durch contrarium, comparatum, emxemplum, testimonium) und conclusio (Schlußfolgerung)“10. Er löste sich damit von der festen Reihenfolge der Chrienform und betonte den argumentativen Teil und die Beweisführung, die die Schüler in Schulreden übten. Dadurch wurde nicht so sehr ein bestimmter Stil imitiert, denn auf der Basis eines strukturierenden Gerüsts ein eigener inhaltlicher Zugriff ermöglicht, der weniger auf die Wirksamkeit abhob, denn die Sachgemäßheit betonte. Dass die Anwendung der Chrienform in der Schule auf Dauer zu einem Formalismus geführt hat, ist nicht zu bestreiten.11 Aktuell lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten, wenn man die Verwendung sprachlicher und struktureller Muster beim Erörtern beobachtet, die erstaunliche Parallelen zur Chrienform aufweisen und auch heutzutage noch dazu führen, einem Schema zu folgen, ohne die eigene Position zu benennen und kenntlich zu machen.12

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