Читать книгу Wackernells Visionen. Das Lebenswerk eines Südtiroler Ingenieurs онлайн

10 страница из 14

Über Umwege nach Hause

Nach diesem Zwischenfall kehrten Wackernell und Höllrigl mit den deutschen Ingenieuren in das OT-Hauptquartier nach Rovereto zurück. Dort war man von der Arbeit der beiden Südtiroler angetan und entließ sie nach Hause, um ihnen im Sommer 1945 das Ablegen der Kriegsmatura zu ermöglichen. Zurück in Meran erfuhr Wackernell unmittelbar, dass der „totale Krieg“ auch Südtirol erreicht hatte. Als er zu Hause die Türglocke betätigte, blieb diese stumm. Als alles Rufen auch nicht half und ihm niemand die Tür öffnete, zog er seine Pistole und feuerte seine einzigen Schüsse während des Krieges ab. Endlich hörten ihn seine Eltern und öffneten die Tür. Aufgrund der Verdunkelungsmaßnahmen wurde in Meran nämlich abends der Strom abgeschaltet, weshalb die Glocke nicht mehr funktionierte. Wackernell begab sich gleich nach der Heimkehr in die Schule nach Wolkenstein. Auch hier hatte der Krieg unübersehbar seine Spuren hinterlassen. Mit dem herkömmlichen Unterricht war es nicht weit her. Vielmehr trainierten die Jungen das Ausheben von Schützengräben oder das Schießen auf Skiern. Ernst wurde die Situation, als ein Lastwagen voller Waffen und Munition vor der Schule vorfuhr. An die Schüler erging die Aufforderung, sich zum Sellajoch zu begeben und dort die anrückenden Amerikaner zu bekämpfen. Dabei priesen die deutschen Instrukteure die Vorzüge der angeblichen „Wunderwaffe“ Panzerfaust an. Die Gruppe um Wackernell lehnte einen solchen Einsatz allerdings kategorisch ab. Sie war von einer Gruppe von Deserteuren gewarnt worden: Mit Panzerfäusten gegen die US-Armada etwas ausrichten zu wollen, sei das reinste Himmelfahrtskommando. Die amerikanische Panzertruppe hätte eine Strategie entwickelt, ihre Fahrzeuge einfach auf den Schützengräben zu drehen und die Gegner lebendig unter sich zu begraben. Das ließen sich die Jungen nicht zweimal sagen, setzten sich nach und nach aus der Schule ab und traten die Flucht nach Hause an. Ungefährlich war das nicht: Auf den Straßen patrouillierte die Feldgendarmerie auf der Suche nach Deserteuren, die sich ebenso wie bereits vom Süden zurückflutende Wehrmachtseinheiten nach Norden durchschlagen wollten. Die Schüler galten zwar als Zivilisten, hätten sich aber nicht von der Schule entfernen dürfen. Wackernell meldete sich denn auch mit der Bitte beim Direktor ab, keine Suchaktion zu starten. Auf der Treppe traf er auf einen der fanatischsten Nazis an der Schule, Prof. Stärkele. Auf Wackernells „Auf Wiedersehen!“ antwortete dieser barsch mit einem „Heil Hitler!“, aber dabei blieb es auch. Die Vertreter des Regimes hatten offensichtlich resigniert. Da Straßen viel zu gefährlich waren, nahm Wackernell den Weg über die Berge. Über den Tschögglberg gelangte er schließlich in zwei Tagen nach Meran. Dort traf er seine Eltern unversehrt wieder, auch der Großvater hatte den Krieg überstanden. Zu diesem erfreulichen Umstand gesellte sich freilich ein Wermutstropfen: Aus der Kriegsmatura wurde nichts. Dafür hatte der Krieg zwei Monate zu früh geendet.

Правообладателям