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Dramatische Ereignisse am Monte Pelmo

Bevor sich Norbert Wackernell jedoch über das Kriegsende freuen und Zukunftspläne schmieden konnte, stand ihm 1944 das wohl dramatischste Ereignis seines Lebens bevor. Er und Bernhard Höllrigl sollten drei Hamburger Ingenieure dabei unterstützen, auf der Hochebene unterhalb des Monte Pelmo (südlich von Cortina d’Ampezzo) Vermessungen vorzunehmen. Die Deutschen entwickelten nämlich konkrete Pläne, dort eine Abschussrampe für die V2 zu bauen. Teil des Projektes war die Errichtung einer Seilbahn, mit der man die Raketenteile auf den Berg transportieren wollte. Und den Bau dieser Bahn galt es vorzubereiten. Die Gruppe kam vor Weihnachten 1944 am Fuß des Berges in Forno di Zoldo an und stieg zu jener Almhütte auf, die ihr in den kommenden Wochen als Unterkunft diente. Die Ausstattung der Hütte war zwar spartanisch, speziell das Schlafen bereitete einige Schwierigkeiten. Die Verpflegung war dagegen für die Zeitumstände erstklassig, ja geradezu privilegiert. Jede Woche kam ein Kleinlastwagen aus Rovereto und brachte alles Nötige mit. Sogar für Sonderwünsche gab einen gewissen Spielraum. Die Vermessungsarbeit schritt zügig voran. Aber bald merkte die Gruppe, dass sie nicht allein auf der Anhöhe war: In der Gipfelzone hatte sich eine bis an die Zähne bewaffnete, etwa zwei Dutzend Mann starke Partisanengruppe verbarrikadiert. Bald kam es zum ersten Kontakt und es gelang, eine Art Abkommen zu schließen. Die Italiener sollten Wackernell und Co. unbehelligt ihre Arbeit verrichten lassen, umgekehrt würden die OT-Leute die Existenz der Partisanengruppe vor Ort nicht ins Hauptquartier nach Rovereto melden. Tatsächlich gestalteten sich die Beziehungen in der Folge durchaus entspannt, insbesondere nachdem sich die Partisanen überzeugt hatten, dass die Technikergruppe über keinerlei Waffen verfügte. Dies war auch die Folge eines fast absurden Problems: Die Briten hatten Kenntnis von der Partisaneneinheit und ihrem Aufenthaltsort. Sie überflogen das Gebiet und warfen öfters Waffen und Munition ab, nie aber Nahrungsmittel. So ergab es sich, dass die gut versorgte Vermessungstruppe den Italienern immer wieder Verpflegung abtrat. Umgekehrt waren die Partisanen bei verschiedenen Arbeiten behilflich. Wackernell gewann den Eindruck, es handle sich weniger um eine hoch politisierte, aggressive Gruppe, sondern um junge Männer, die schlichtweg vermeiden wollten, von der Wehrmacht gefangen und zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert zu werden. Die Beziehungen hätten wohl auch ohne Probleme mit Abschluss der Vermessungstätigkeit geendet, hätte nicht einer der deutschen Ingenieure entgegen den Vereinbarungen in einem Gespräch mit dem Hauptquartier durchblicken lassen, es seien Partisanen in der Gegend. Dann ging alles ganz schnell! Unten in Forno trafen zwei Lastwagen mit einer Polizei-Einheit von insgesamt etwa 25 Mann ein. Die gesamte Besatzung bestand ausgerechnet aus Südtirolern. Wackernell und Höllrigl war die akute Gefahrensituation sofort klar. Sie stiegen hinab ins Dorf und nahmen Kontakt mit dem Anführer der Einheit, einem Möltner namens Schrott, auf. Tatsächlich erklärte dieser, man wolle das Partisanennest ausheben. Wackernell wandte ein, die Partisanen seien am Gipfel in einer optimalen Position, bestens ausgerüstet und, anders als die Südtiroler Polizisten, kampferprobt. Bei einem Angriff drohe der Einheit ein Gemetzel, womöglich würde niemand überleben. Die Südtiroler sollten sich daher ohne Aufhebens zurückziehen. Dies lehnte Schrott mit dem Hinweis auf die eindeutige Befehlslage ab. Zu einer weiteren Zuspitzung der Situation kam es, als die Partisanen Wind von der Anwesenheit der Polizeieinheit bekommen hatten. Sie warfen Wackernell und seinen Kollegen Verrat vor. Wackernell schaltete nun den Bürgermeister von Forno ein und es kam zu hektischen Verhandlungen. Die Lösung brachte schließlich Wackernells Vorschlag, bei seinem Vorgesetzten in Rovereto, Rücke, in der Sache zu intervenieren. Tatsächlich gelang mit dem Hinweis, der Polizeieinsatz gefährde die Vermessungen und damit die zeitgerechte Umsetzung des V2-Projektes, eine Rücknahme des Befehls. Daraufhin zog die Südtiroler Einheit ohne weitere Zwischenfälle wieder ab. Wackernell sprach im Allgemeinen überaus uneitel über seine Projekte und Verdienste. Kam er hingegen auf diese Episode zu sprechen, verlieh er ohne falsche Bescheidenheit seiner Überzeugung Ausdruck, durch sein entschlossenes Eingreifen zahlreiche Menschenleben gerettet zu haben.

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