Читать книгу Kritik der digitalen Unvernunft. Warum unsere Gesellschaft auseinanderfällt онлайн
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So schlägt der Buchdruck den Takt für die Zerlegung der Dinge, auf dass sich zeige, was die Welt im Innersten zusammenhält. Gutenbergs Erfindung fungiert geradezu als ein Mutationsfaktor in der Evolution des menschlichen Geistes, die der Kulturphilosoph Jean Gebser in mehreren Etappen ablaufen sieht. Demnach waren unsere Urahnen zuerst vom magischen Bewusstsein beseelt. Es entstand gemeinsam mit dem Faustkeil als erstem Werkzeug vor etwa 1,7 Millionen Jahren und begleitete die Distanzierung der Gattung Homo von der Natur. Die nächste Stufe, das mythische Bewusstsein, entwickelte sich, als die Menschen vor etwa 12 000 Jahren sesshaft wurden und den Ackerbau für sich entdeckten. In der mythischen Welt ging es um die Entwicklung des Zeitbewusstseins und die Gewinnung der Innenwelt als Erlebnisraum. Diese Form nun wird mit der Erfindung des Buchdrucks vom rationalen Bewusstsein abgelöst, und das selbstbewusste Ich entsteht als Subjekt, das sich seiner Außenwelt – messend und zerlegend – gegenüberstellt. Verbunden damit ist die Idee der Objektivität. Die Welt wird berechnet und geordnet, von den Planetensystemen über die Meere und Länder bis hin zum Gehirn, das bald schon als Organ des Bewusstseins – oder mit den trefflichen Worten des Physiologen du Bois-Reymond – als »Bureau der Seele« konzipiert wird. Der Umbruch zeigt sich im Abendland gut im Kampf zwischen der christlichen Kirche, die ihren Aufstieg noch dem mythischen Bewusstsein verdankt, und der Naturwissenschaft als Ikone des Rationalen. Galilei wird Opfer dieser Zeitenwende. Als Protagonist des Neuen, der die Natur Gesetzen zu unterwerfen lehrt, gerät er in die Hände des Alten und kann seine Haut vor der Inquisitionsbehörde nur retten, indem er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse widerruft.