Читать книгу CHANGES. Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit онлайн
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Das klassische Abendkonzert ist ein Format der Disziplinargesellschaft – Menschen werden eingeladen und terminiert. Für die Dauer der Veranstaltung werden sie eingeschlossen, dürfen nicht an der falschen Stelle klatschen und nur in den Pausen husten. Das klassische Konzert ist eine Zeremonie der Meisterschaft, und der Dirigent hat zwei Leiber, deren einer profan ist und schwitzt und deren anderer heilig ist – an dieser patriarchalen Struktur ändert auch eine Dirigentin am Pult wenig. Es ist die Sprache des Einen an die Vielen und auch der Genuss der Vielen an dem Einen – des Werks, der Spiritualität einer Verbindung, die über die Musik hinausführt und kollektiv erfahren wird. Im Ausstellungsparcours kann ich gehen, wie, wann und wohin ich möchte, aber nichts anfassen. Ich bewege mich in diesem etwas jüngeren Format als Individuum und lerne im Museum die Kunst einer sich selbst für objektiv haltenden Betrachtungsweise. Alles liegt so schön sauber und neutral vor mir, ein Fetisch mit zauberischer Wirkung, ein Ding, das Begehren auslöst und Macht ausübt. Die Öffnungszeiten überlassen es mir, wie lange ich am Ort dieser Nähe zum Begehrten bleibe, aber an jedem Fenster ist der Sensor einer Alarmanlage und in Sichtweite immer Personal. Formate, näher betrachtet, sind, ganz gleich, ob sie von Institutionen bereits adoptiert wurden oder nicht, immer Gesellschaftsschulen, immer freiwillige Trainingsstätten, in denen wir auf die Höhe des Neuen und seiner Sprache, Codes, Freuden und Tücken gelangen.