Читать книгу Die Regeln. Kodex für Radsportjünger онлайн
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Gut abfahren ist – mehr noch als alles andere beim Radfahren – eine Kunst. Die Kräfte, mit denen wir spielen, um auf zwei Rädern aufrechtzubleiben, wirken bei hohem Tempo in zugespitzter Form, und das Kurvenfahren macht die Dinge nur noch komplizierter. Es gibt keinen schöneren Anblick auf Erden als eine Perlenkette von Fahrern, die durch eine Serie von Kurven gleiten und sich wie eine Schlange den Berg hinabwinden.
Es gibt wenige Radsportler im Laufe der Geschichte, die sich als Meister der Abfahrtskunst hervorgetan haben. Paolo Salvodelli und Philippe Gilbert sind bekannt für ihre spektakuläre Art, die Berge hinabzurasen, mit der sie praktisch in jeder Kurve die Physik herausfordern, so dass beide Reifen auf dem Asphalt nach außen rutschen, am absoluten Limit ihres Grips.
Der Prophet Eddy Merckx war auch ein Meister dieser Kunst. Merckx war auch ein großartiger Kletterer – nicht so sehr wegen seiner Statur oder seiner Grazilität oder seines Pedaltritts, sondern vor allem wegen seines grenzenlosen Vermögens, sich zu schinden. Aber auf den Abfahrten bewegte er sich in gänzlich anderen Sphären als seine Kollegen. Er war berühmt für die Akribie, mit der er sich um Rahmengeometrien und die Sitzposition auf dem Rad kümmerte; hunderte Rahmen musste Ernesto Colnago für ihn bauen, ein jeder mit marginal unterschiedlicher Geometrie. Er bevorzugte Rahmen, die auf Abfahrten große Spurstabilität boten – dies war ihm wichtiger als alles andere. Merckx wusste, dass er nur eine Chance hatte, um die Zeit wettzumachen, die er womöglich im Anstieg auf die reinrassigen Bergziegen verlieren würde, und zwar indem er den Berg auf der anderen Seite so schnell wie irgend möglich runterkam.