Читать книгу Kulturtheorie. Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften онлайн

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Mit diesem Befund befinden wir uns schon ganz in der Nähe jenes Werkes, das bis heute einen wichtigen Stellenwert in verschiedensten Diskursen einnimmt: HorkheimersHorkheimer, Max und AdornosAdorno, Theodor W. Gemeinschaftswerk Die DialektikDialektik der AufklärungAufklärung, aufklärungs-, das vor dem Hintergrund des nahen Kriegsendes eine düstere Gesamtbilanz der Aufklärung und der abendländischenAbendland, abendländisch Denkweise (episteme) zieht. Das Werk ist fragmentarisch in einem doppelten Sinn. Der letzte Teil ist bruchstückhaft geblieben, eine Sammlung aus Aphorismen und Marginalien. Aber das Fragmentarisch-Ausschnitthafte ist zugleich Programm eines Werkes, das gegen die Idee des geschlossenen Werkes gerichtet ist. Das BuchBuch (als Medium) kulminiert in einer Kritik an den Wissenschaften; deren GlaubenGlaube an die Begrifflichkeit der SpracheSprache wird in kritischer Volte gegen BaconsBacon, Francis berühmten Satz Wissen ist MachtMacht als mythisch und machtförmig denunziert. Im zweiten Teil wird Odysseus als ArchetypArchetyp bürgerlicher Vernunft beschrieben, dessen List darin besteht, alles zum Mittel der Durchsetzung seines strategischen Kalküls zu machen. Höhepunkt dieser Analyse ist der kritische Kommentar zum Abenteuer Odysseus‘ und seiner Gefolgsleute mit dem einäugigen Riesen Polyphem. Der einäugige Riese ist der monströse Fremde, ein Hirngespinst der griechischen Eindringlinge, ein symbolisches Produkt aus deren Welt. Polyphem verkörpert den unterdrückten Autochthonen, den die beiden Autoren in die Nähe des modernenModerne, modern, -moderne OpfersOpfer der neuzeitlichen Kolonisation rücken. Mit Seitenblick auf SimmelSimmel, Georg (→ Kap. 5) ließe sich sagen, dass Polyphem seinem BegehrenBegehren blind ausgeliefert ist, er kann dieses nicht rational geltend machen, ganz im Gegensatz zu Odysseus, der ihn durch sein intellektuellesIntellektueller, intellektuell Kalkül überrumpelt und blendet. Odysseus‘ List deckt sich weithin mit dem strategischen Kalkül, das SimmelSimmel, Georg dem Menschen der modernen Geldkultur zugeschrieben hat. Die beiden philosophischen Interpreten bürsten HomersHomer Epos gewissermaßen gegen den Strich und drehen die Perspektive um; sie nehmen Partei für den schmählich Unterworfenen und Getäuschten, der sich womöglich nur aus dem hochmütigen und herablassenden Blick des griechischen Herrn so hässlich und monströs ausnimmt. Insofern lässt sich dieses Kapitel aus der Dialektik der Aufklärung auch als ein hochkarätiger Beitrag zu einer Theorie des KolonialismusKolonialismus, kolonialisiert und PostkolonialismusPostkolonialismus, postkolonial (→ Kap. 12) lesen. Schon in HomersHomer Epos wird, AdornoAdorno, Theodor W. und HorkheimerHorkheimer, Max zufolge, die Auseinandersetzung zwischen Odysseus und Polyphem unter dem Gegensatz zwischen ZivilisationZivilisation und BarbareiBarbar, Barbarei gefasst. Der Riese Polyphem trägt „das rädergroße Auge“ „als Spur […] der Vorwelt“.8 Die Primitivität des AnderenAndere(r), der, die, das, des Menschenfressers, seine Gesetzlosigkeit liefert die Legitimation dafür, ihm Gewalt anzutun. Die für sich reklamierte zivilisatorische Überlegenheit liefert so die Begründung für MachtMacht- und Gewaltausübung. In der ungleichen Begegnung trifft physische Überlegenheit auf ein Übermaß an Rationalität. Die körperlicheKörper, körperlich Stärke wird dem „Primitiven“ zum Verhängnis: Sie macht ihn vertrauensselig, sich selbst und anderen gegenüber: „Die physische Rohheit des Überkräftigen ist sein allemal umspringendes Vertrauen.“9

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