Читать книгу Wenn Sie kein Feigling sind, Herr Pfarrer. Werner Kriesi hilft sterben онлайн

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Mord und Genozid, Blutrache und Krieg, Todesstrafe und Menschenopfer. Gewaltsam gestorben wird in der Bibel reichlich. Mit wenigen Ausnahmen sind es keine Selbsttötungen. Das Alte Testament berichtet von König Saul, der sich ins Schwert stürzt, von Samson, der einen Tempel über sich zusammenbrechen lässt, oder von Abimelech, der einem seiner Soldaten befiehlt, ihn zu töten. Verurteilt wird dies nicht, auch nirgends verboten. Alle Selbsttötungen sind die Folge von Ehrverletzung oder Demütigung. Und nicht einer unheilbaren Krankheit oder eines unerträglichen körperlicher Leidens.

Diese spielten damals auch lange keine so große Rolle wie inzwischen in unseren Gesellschaften. In der Bibel waren in dieser Hinsicht die Verhältnisse kaum anders als noch bei uns vor zwei Generationen. Das durchschnittliche Alter, das man über Jahrtausende erreichte, betrug ungefähr 45 Lebensjahre. Seit dem letzten Jahrhundert steigt die Lebenserwartung. Noch Anfang der 1930er-Jahre erlebten 96 von 100 Menschen den siebzigsten Geburtstag nicht. Inzwischen werden wir durchschnittlich über achtzig Jahre alt. Dank dem Wohlstand, den geordneten politischen Verhältnissen und der hochentwickelten Medizin wird uns somit etwas geschenkt, was sich frühere Generationen nur erträumen konnten. Die paradoxe Kehrseite ist, dass dieses lange Leben zu ethisch-moralischen Problemen führt, von denen unsere Vorfahren keine Ahnung haben konnten. Die unerträgliche Situation, in die viele todkranke Menschen geraten sind, ist ja erst entstanden, weil die Medizin das Sterben immer weiter hinauszögern kann. Daher ist es so lebensfremd, so patholo­gisch auch, wenn die Kirche noch heute das Dogma von Thomas von Aquin vertritt, das er vor bald tausend Jahren, im Hochmittelalter, entwickelt hat. Die Lebenswelt damals hat doch nichts mit der heutigen Zeit zu tun! Wie kann man sich da noch auf den allmächtigen Gott, den Herrn berufen, der in seinem «unerforschlichen Willen» die Todesstunde eines Menschen bestimmt, um ihn zu sich in die «ewige Heimat» zu rufen?

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