Читать книгу Die Unbeirrbare. Wie Gertrud Heinzelmann den Papst und die Schweiz das Fürchten lehrte онлайн

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Als die Tochter älter ist und ihre Schulklasse an der Fronleichnamsprozession teilnehmen muss, stellt sich der Vater auf die Treppe vor dem großelterlichen Haus, pfeift und ruft seine «Trut» energisch aus der vorbeimarschierenden Menge ins Haus.

Ambivalent muss auch Salesia Rietschis Verhältnis zum Katholizismus gewesen sein. Nach Gutdünken vermittelt die Großtante ihren Nichten frommes Brauchtum, erfindet vor dem Einschlafen lange Gebete, die mehr Gute-Nacht-Geschichten sind. Das Tischgebet spricht sie, während sie der Magd Babeli Christen in der Küche beim Anrichten hilft, mit Schüsseln zum Esstisch kommt und wieder hinaus geht. Für die Kinder, die auf ihren Stühlen warten, ist Folgendes zu hören: «Gib uns unser täglich Brot … Babeli, tüend d’Suppe arichte … Du bist voll der Gnaden … und de no de Schnittlauch dri.»16 Sie liest «Das Vaterland», die federführende Zeitung der Katholisch-Konservativen, doch in Boswil teilt sie jedem, der es wissen will, unmissverständlich mit, dass sie, wie alle Rietschis, eine Freisinnige sei, ergo nichts mit den Rückständigen am Hut habe. Das hört man im Dorf vermutlich nicht allzu gerne, hier dominiert die Konservative Volkspartei, und der H.H. Pfarrer, wie die Dorfchronik «Hochwürden» nennt, ist so einflussreich wie der Gemeindeammann oder der Gemeindeschreiber. Salesia lässt sich in keinem katholischen Dorfverein blicken, weder in der «Marianischen Kongregation» noch im «Katholischen Frauen- und Töchterverein». Sie entzieht sich den Organisationen, die nach verlorenem Kulturkampf von den Katholisch-Konservativen zur Abwehr freisinnigen und liberalen Gedankenguts überall gegründet wurden. Damit nimmt sich die Gemeindelehrerin weltanschaulich Freiheiten heraus, aber nur so weit, als ihr gesellschaftliches Abseitsstehen vom Dorf geduldet wird. Sonntags besucht sie die Messe.

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