Читать книгу Time Is Now. Popmusik in der Schweiz heute онлайн

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Das Internet gleicht hier einem virtuellen Hootenanny, an dem alle zusammenkommen, um ein paar Lieder zu singen, die jeder kennt. Und niemand hat diesen Sachverhalt so liebevoll und ironisch auf den Punkt gebracht wie der US-Songwriter Beck Hansen, als er 2012 seinen «Song Reader» veröffentlichte. Denn dieses Album gab es nicht als LP oder CD oder Download, sondern nur als Notenbuch, und die erste Single war eine vierseitige Partitur in G-Dur. Ein nostalgisches Unterfangen, gewiss, doch gab es zum sorgfältig manufakturierten Büchlein auch eine gleichnamige Website, auf der Hansen nun die Videoclips mit all den Versionen veröffentlichte, die bald aus aller Welt bei ihm eintrafen. Und was für ein wunderbarer Einblick das war in die Küchen und Stuben der weltweiten Basisgitarrendemokratie! Die neueste Single von Beck direkt vom Stubenklavier in Rümmelsheim oder aus der Einbauküche in

St. Petersburg. Der stromlose Weltpop vor der Digicam als Hausmusik der digitalen Nomaden.

All diese Direktverschaltungen einer neuen Heimeligkeit mit dem World Wide Web passen gut zum Phänomen, dass Folk seit einigen Jahren auch als musikalischer Stil boomt. Bands wie die Fleet Foxes, Bon Iver oder Mumford & Sons verkaufen ihre Lieder in millionenfacher Auflage und spielen in grossen, ausverkauften Sälen. Zu ihrem halb akustischen Hymnensound tragen sie Bart und Bauernhemd und zitieren damit jene regionale, ländliche Verwurzelung herbei, die ihr globalisierter Folkpop nicht mehr hergibt. Aber das ist natürlich kein Widerspruch, sondern ein Erfolgsrezept: Folk erreicht die Massen darum, weil er eine Gegenerzählung zur Globalisierung schreibt, die global lesbar ist. Der «Song Reader» von Beck war der perfekte Kommentar dazu: Denn der neuen Folkbasis genügt es eben nicht, zu Hause auf dem Sofa diese Lieder zu singen; die Welt soll auch sehen, wie das Sofa aussieht, und hören, wie schön das Lied nun klingt. Das also ist Pop als Volkskultur, und vice versa. Das ist Cocooning als Castingshow, ein Rückzug ins Private, der wahrgenommen und bewertet werden will. «Thanks for sharing», schreiben noch die verschupftesten der Adele-Adepten zu ihrer Version von «Hello».

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