Читать книгу Time Is Now. Popmusik in der Schweiz heute онлайн

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Bei Adele sind die wenigen Parodien schrill, sogar bösartig. Die meisten Videos zeigen aber Sängerinnen und Sänger, die sehr bemüht sind, sich selbst auszudrücken mit ausgerechnet einem der durchgenudeltsten Radiohits der letzten Jahre. Gut, man könnte sagen, in den Songs der britischen Soulsängerin gehe es gerade um den authentischen Gefühlsausdruck, während Madonna ja mit verschiedenen Identitäten gearbeitet habe. Das stimmt natürlich, aber vielleicht ist es kein Zufall, dass der grösste Popstar der Gegenwart das alte Popspiel um die Frage, wer man auch noch sein und wie man auch noch leben könnte, nicht mehr mitspielt.

Adele verkauft Echtheit, Bodenständigkeit und Identifikation. Es sind die Werte einer Volkskultur. Aufdatiert wurden sie durch und für die moderne Castinggesellschaft, in der es eben nicht um die schönsten Lebensentwürfe geht, sondern darum, das allgemein bekannte Programm möglichst als Klassenbester zu durchlaufen.

Aber natürlich gibt es die, die dabei nicht gesehen werden. Menschen wie Jessica Muniz mit ihren 108 Views. Aber da ist ein Künstler, der sich gerade für die Sperr- und Todeszonen der Aufmerksamkeitswirtschaft interessiert. Er heisst James Hinton, nennt sich The Range und sampelt für seine eleganten elektronischen Songs die Stimmen, wie sie aus dem Pophinterland zu ihm kommen. «Hier gibt es eine viel breitere Palette an Gefühlen und Geschichten als auf der Oberfläche von Youtube», hat Hinton in einem Interview erklärt, «und man bekommt es mit wirklichen und interessanten Dingen zu tun.» Der 27-jährige Amerikaner hat also in den Tiefen des Internets nach Originalen gefahndet, genau so, wie Harry Smith für seine berühmte «Anthology of American Folk Music» von 1952 im unüberblickbaren Wust der alten Folkmusik die wunderlichsten und ergreifendsten Stimmen aufspürte. Die «Anthology» wurde zu einer der einflussreichsten Liedersammlungen der Geschichte, sie beschwor eine Gegenwelt zum Alltag, das «old weird America». Und entwarf so in 84 seltsamen, betörenden Folkaufnahmen den Mythos vom Rock ’n’ Roll.

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