Читать книгу Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 - 1994 онлайн
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Zu ihrem 24. Geburtstag46 hatte Gian ihr ein besonderes Buch geschenkt,47 nicht etwa eine Prestigebibel, wie es sich für eine angehende Theologin geziemt hätte, sondern das Aufklärungsbuch der britischen Biologin und Frauenrechtlerin Marie Stopes Glückhafte Mutterschaft. Ein Buch für alle, die an der Zukunft schaffen. Stopes verband die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Schwangerschaft und Geburt mit einer feministischen Forderung. Die erwachte Frau unserer Zeit nimmt die Dinge nicht mehr blind und mit geduldiger Resignation hin; sie glaubt nicht mehr an die Inferiorität des Weibes, was unseren Grossmüttern geholfen haben mag, ihre Schmerzen schweigend zu ertragen.48
In solchen Sätzen erkannte sich Greti wieder. Kürzlich hatte sie einen Artikel von Hugo Sellheim gelesen, einem der renommiertesten Gynäkologen ihrer Zeit und Leiter der Frauenuniversitätsklinik Leipzig. Zwar war Sellheim kein Feminist wie Marie Stopes. Angesichts einer 24-jährigen Schwangeren wie Greti hätte er nur den Kopf geschüttelt, denn für ihn sollte jede Frau mit achtzehn oder spätestens zwanzig Jahren ein Kind gebären. Die Frau wird in unserem heutigen Leben zu alt für die erste Entbindung, weil sie selbst mit ihrer Ausbildung für einen Beruf zu viel zu tun hat und kein Mann da ist, der sie rechtzeitig heiraten und unterhalten könnte, schrieb der Leipziger Gynäkologe. Es bleibt also die Frauenkraft in Richtung ihrer natürlichen Verwendung für die Fortpflanzung brach liegen, oder sie wird in einer anderen Richtung – der Erwerbsarbeit – verwendet, also im Sinne der natürlichen Bestimmung «missbraucht».49 Dennoch wollte Sellheim den medizinischen Fortschritt in den Dienst werdender Mütter stellen. Gebärenden empfahl er eine Mischung aus Zuckerlikör und dem Schmerzmittel Scopan.50 Die Aussicht auf eine schmerzfreie Geburt faszinierte Greti so sehr, dass sie ihren Eltern verkündete: Ihr werdet Euch wundern, aber ich möchte (…) das Kind ohne Schmerzen kriegen, nicht weil ich mich fürchtete, dazu habe ich vorläufig noch keine Zeit, aber weil ich das von der Medizin als eine Selbstverständlichkeit verlange.51 Sie nahm sich vor, in der Schweiz einen Arzt zu suchen, der die neue Methode praktizierte. Wenn es bei ihr glückte, wollte sie anderen jungen Frauen davon erzählen, die es dann ihrerseits ausprobieren und weitersagen würden.52