Читать книгу Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 - 1994 онлайн
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Greti Caprez-Roffler interessierte sich jedoch weniger für pompöse Dekorationen als für die feudalen Mahlzeiten und ihren Platz im Liegestuhl auf dem Deck der zweiten Klasse. Essen mag ich fürchterlich, und arbeiten kann ich auch gut,9 berichtete sie der Mutter. Die täglichen Menus kamen ihrem Appetit entgegen: Horsd’œuvre, Austern, Ragout und Kartoffeln, Wurst und Kartoffelbrei, Emmentaler Käse, Aprikosenkompott, Orangen und Äpfel, Kaffee oder Tee.10 Ein feudaler, glänzender Frass, spottete sie im Brief nach Igis.11 Nach dem Mittagessen spielte im Salon eine Musikkapelle auf, doch sie verkroch sich in den Liegestuhl hinter ihre Bücher und hoffte, es möge niemand das Gespräch mit ihr suchen.12 In den zwei Wochen bis zur Ankunft in Genua musste sie vier Jahre Theologiestudium vergegenwärtigen, Altes Testament, Neues Testament, Dogmatik, Ethik, praktische Theologie, Pädagogik und Psychologie.
Jeden Tag stellte Greti die Uhr eine Viertel- bis eine halbe Stunde vorwärts.13 Wie sich der Zeiger nach vorne drehte, so rückte Gian weiter weg. Es war Ende September 1930, seit der Hochzeit vor einem Jahr waren sie nie mehr als ein paar Stunden getrennt gewesen. Wann sie sich wiedersehen würden, war ungewiss. Und doch fühlte sich Greti innerlich gefasst.14 Die übliche Rastlosigkeit war einer Gelassenheit gewichen, über die sie sich selber wunderte und die sie dem Kind zuschrieb. Wer nichts davon wusste, konnte ihren Bauch auch jetzt noch übersehen. Sie selber spürte «es» jedoch genau und wandte sich im Tagebuch an ihr Kind: Du geliebtes, kleines Wesen. An meines Mamis Geburtstag15 hast Du Dich zum ersten Mal ganz leise und sacht bewegt.16 Wie wenn ein Fisch mit der Schwanzflosse schlägt.17