Читать книгу Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 - 1994 онлайн

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Einmal pro Woche setzte sich Greti an die Schreibmaschine. Den Schwiegereltern schickte sie das Original, den Eltern den Durchschlag, das war praktisch. Sie inszenierte sich als gewissenhafte Hausfrau. Am Montag habe ich gewöhnlich ziemlich aufzuräumen und Kleider und Schuhe zu putzen. (…) Am Dienstag habe ich dann die ­Wäsche. Am Mittwoch ist (…) ein kleinerer Markt, mehr in der Nähe. Der Weg dahin geht stets durch einen wunderschönen Park. Am Donnerstag muss ich flicken, am Freitag Briefe schreiben (…).25 Sonntags besuchten sie den Gottesdienst,26 danach kochte Greti auf ihrer nur halbwegs funktionierenden Platte27 das Mittagessen. Vermutlich vor allem an den Vater gewandt, berichtete sie, dass sie trotz allem ­jeden Tag etwa fünf Stunden auf das Schlussexamen lerne: Ich habe schon ein Kollegheft und eine Ethik durchgearbeitet.28

Die deutschsprachige Exilgemeinschaft in São Paulo – Kaufleute, Bankiers, Ingenieure und Dienstmädchen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich – wuchs rasch, so dass sie eine eigene evangelische Kirche betrieb. Dort war Greti mit offenen Armen empfangen worden. Die Gemeinde hatte gerade einen zweiten Pastor eingestellt, den jungen Deutschen Martin Begrich, der zur gleichen Zeit wie Gian und Greti mit seiner Frau in São Paulo ange­kommen war.29 Die beiden Pastoren hatten der Schweizer Studentin nicht nur die Kinderlehre30, sondern sogar einen Gottesdienst an­vertraut. Am 27. April 1930 trat Greti erstmals vor die versammel­ten Auswanderer.31 Ihre Predigt verankerte sie im Alltag der brasilia­nischen Grossstadt, sie sprach von den zur Arbeit hastenden Menschen, vom Anblick menschlicher Schaffenskraft angesichts des Martinelliwolkenkratzers, von den Ablenkungen des Nachtlebens. So viele Kirchen stehen in dieser Stadt, wo aber bleibt das Christentum? Wir finden es am Morgen nicht, da jeder ohne Freude an seine Arbeit geht, am Mittag nicht, da der Mensch nur seine eigene Grösse sucht, und nachts nicht, da unsere Brüder und Schwestern Gottes Wege verkehren. (…) Und nun stehen wir an dem Punkt, an dem es ganz deutlich wird, was es heisst, ein evangelischer Christ zu sein, dem die Kirche nicht sagt, dies und das musst Du tun (…). Der evangelische Christ steht allein vor Gott und seinem Wort und hat selber zu entscheiden.32

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