Читать книгу Reportagen 1+2 онлайн
214 страница из 255
Ein Lichtpunkt: seine Geliebten. Man wird die schönste Prosa des Louis Althusser nie, oder erst in unabsehbarer Zeit, lesen können. Befindet sich nämlich in den siebenhundertfünfzig Briefen, die er an Claire Z. geschrieben hat; sie hat ihm fünfhundert zurückgeschrieben. Es war aber nicht nur eine Liebes-Brief-Beziehung, sondern eine ausgeflippte, echt erotische, zugleich spirituelle Leidenschaft (Moulier-Boutang hat die Briefe gesehen und bringt ein Zitat). Auch mit Franca X. war er glücklich.
Die Ehe mit Hélène hingegen – da haben sich zwei Unglücksraben vereinigt. Hélène Ratman-Légotien kam aus einer verwüsteten Kindheit, wurde von ihrer Mutter verabscheut, hat ihrem krebskranken Vater, auf Anraten des Arztes, der das selbst nicht zu tun wagte, im Alter von 13 Jahren die tödliche Spritze verabreicht, ein Jahr später dann auch grad noch der Mutter. Verständlich, dass die Kommunistische Partei ihr ein Familienersatz wurde (wie für Althusser – beide waren in derselben Familie, als sie sich heirateten: Inzest?). Hélène wurde, aus nie genau geklärten Gründen, von der Partei, die ihr das Leben bedeutete, 1950 ausgeschlossen und Althusser von der Partei aufgefordert, sich von ihr zu trennen. Ein regelrechter Prozess à la Moskau war dem vorangegangen. Der kommunistische Dichter Paul Eluard («Sur mes cahiers d'écolier j'écris ton nom: Liberté»), der grosse Freiheitsspezialist, wird von Althusser um Hilfe gebeten, wendet sich indigniert ab. Althusser ist der Partei trotzdem treu geblieben. Die beiden leben dann, eine höllische Ehe, jahrzehntelang zusammen in der Amtswohnung der «Ecole Normale Sup» (ein Internat, in dem übrigens erst seit kurzem auch Frauen zugelassen sind). Hélène wird, ménage à trois, vom gleichen Psychiater wie Louis, René Diatkine, behandelt, der es auch sonst mit der Berufsethik nicht so genau nimmt, er lässt Louis auf sein Verlangen, nach einer Suiziddrohung, internieren, analysiert ihn face-à-face. Althusser soll allerdings kein einfacher Kunde gewesen sein, habe jeweils, schon nach den ersten Sitzungen, seine Analytiker zu analysieren begonnen und sie mit diabolischen Psychotricks zur Verzweiflung getrieben, so wie er auch den Leser manchmal fast zum Überschnappen bringt: Er hat in einem Buch (Bestseller) zwei Autobiographien veröffentlicht, eine kürzere, 1976 geschriebene («Les faits»), eher leichtfüssig bis zynisch, brillant und lustig; und eine längere, «L'avenir dure longtemps» (Zitat von de Gaulle), fünf Jahre nach dem Erdrosseln seiner Frau produziert; die erste verhält sich zur zweiten wie die Komödie zur Tragödie. In der ersten erzählt er u.a., skurril, aber komisch überzeugend, wie er ein atomares Unterseeboot gestohlen hat und von Papst Johannes XXIII. in die vatikanischen Gärten eingeladen worden ist und de Gaulle, der ihn um Feuer bat, auf dem Trottoir begegnet ist: alles Mumpitz, sagt Moulier-Boutang; aber damit wolle er vielleicht sagen, dass es sich bei seiner Autobiographie um Fiktion handle (obwohl sie andererseits von nachprüfbaren Daten strotzt).