Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн

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Einmal war der Bruder wieder krank. Er war unruhig und weinte die ganze Nacht. Ich musste mit ihm das Zimmer teilen und hatte deswegen kaum ein Auge zugetan. Am andern Tag in der Schule war ich sehr müde. Die Augen wollten mir zufallen. Bereits mehrmals wurde ich von der Lehrerin ermahnt, ich sollte mich anständig hinsetzen und nicht so in der Bank herumhängen. Nun verlor sie die Geduld. Ich musste mich zur Strafe in die Ecke stellen. In diesem Moment trat der Schulinspektor ein. Wie schämte ich mich, hier in der Ecke zu stehen. Wie ungerecht fand ich die Strafe, doch ich konnte nicht erzählen, warum ich so müde war.

Warum denn eigentlich nicht? Die Lehrerin kannte unsere Familie gut. Sie war auch schon bei uns zu Hause, weil meine älteste Schwester bei ihr im Sommerlager war. Warum war denn mein behin­derter Bruder nie ein Thema? Heute frage ich mich, warum ich mich nicht erklären konnte, wenn mein Bruder mir das Zeichnungsblatt zerriss oder wenn durch seine Schuld Tintenkleckse mein Heft verunstalteten? Ich kassierte Schelte und musste mich damit abfinden, dass ich einen besonderen Bruder hatte, dass unsere Familie anders war. Deswegen schämte ich mich auch immer wieder.

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