Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн

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Inzwischen war ich in der ersten Klasse. Ich lernte Lesen und Schreiben und entwickelte eine rege Schreibtätigkeit. Was ich früher zeichnend verarbeitete, tat ich nun schreibend. Ich verlangte bei der Lehre­rin nach Papier und blieb freiwillig länger in der Schule, um meine kleinen Aufsätze zu schreiben. Die Lehrerin nannte mich «Blättli­schluckerin». Sie korrigierte jeweils meine Texte und strich die Fehler mit roter Tinte an. Als nun fast das ganze Blatt rot angestrichen war, befand sie, ich würde besser etwas abschreiben, als eigene Geschichten voller Fehler zu schreiben. So wurde meiner Schreib- und Fabulierlust ein Ende gesetzt.

Ich war nun bald anderweitig beschäftigt, denn als ich eines ­Tages von der Schule heimkam, hatte die Mutter Matratze, Decken und Kissen zum Sonnen über die Teppichstange gehängt.

«Wir können am Sonntag den Bruder abholen.»

Die Sonne beschien das Bettzeug, als wollte sie meinem Bruder als Vorschuss etwas Wärme bringen.

«Kommt er nun für immer nach Hause?»

Wir beiden konnten damals nicht ahnen, wie oft der Bruder noch von zu Hause fortgehen musste.