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In einem weiteren Artikel ist der Name Ludwig Rosenberg (1903–1977) zu lesen, des damaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). In diesem Beitrag geht es um Auftritte von Bühnenkünstlerinnen und -künstlern im jeweils anderen Staat, wovon der DGB seine Mitglieder 1961 abhielt. Die DDR sprach daraufhin vom „Bonner Kulturboykott“3. „Unsere Feinde“, „Adenauer und Brandt“, „Bonner Militaristen“: Die Zeitungsversatzstücke dokumentieren unmissverständlich die Propaganda der DDR in Zeiten des Kalten Kriegs. Sitte machte mittels der von ihm ausgewählten Inhalte sein vermeintlich harmloses Stillleben zum Abbild des Kulturkampfs zwischen Ost- und Westdeutschland.

Wie eine schwarze Sonne, ein seit den späten 1960er Jahren wiederholt auftretendes Element in den Strandbildern Sittes, ragt von oben ein dunkles Kreissegment in das Bild hinein. Nichts Gutes verheißend schwebt es über dem Tisch mit der Zeitung. Auf dieser liegt eine Brille – möglicherweise eine Allusion auf die Brille des Malers, der über das Gelesene nachdenkt. Welchen Weg soll er gehen, den des Aufbruchs in die Moderne, wofür die angewandten künstlerischen Mittel stehen, oder den des geforderten parteikonformen Staatskünstlers, wofür die transportierten Inhalte stehen? Dass es einen Mittelweg, den der Kritik an den bestehenden Verhältnissen und des Suchens nach neuen Ausdrucksformen, geben könnte, stellt sich für ihn zu diesem Zeitpunkt als immer unrealistischer dar. Um 1962, dem Entstehungsjahr des Bildes, sah sich Sitte massiven Anfeindungen vonseiten der SED-Funktionäre ausgesetzt. Ein Jahr später, im Januar 1963, kulminierte die Situation in einem Parteiverfahren gegen ihn, in dessen Konsequenz seine öffentliche Selbstkritik stand. Den Traum von einer Nutzbarmachung der Moderne innerhalb der Kultur eines kritikfähigen sozialistischen Staatswesens musste er aufgeben. Trotz dieser Brisanz holte der damalige Direktor des halleschen Kunstmuseums, Heinz Schönemann (* 1934), das Stillleben schon 1964 in die Sammlung. 1965 wird es erstmals ausgestellt – in Sittes erster Einzelausstellung in der Bundesrepublik in der Neuen Münchner Galerie.

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