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Neben dem Tag der Freude, an dem die Giplomben besiegt worden waren, gab es aber noch einen anderen Tag, einen Tag der Trauer. Das war der Tag gewesen, an dem Silena, die ängstliche Hirschkuh, in die Ganganjer-Schlucht gestürzt war, nachdem man ihr einen heftigen Schrecken eingejagt hatte. Das war durch Flexys Schuld geschehen, der sie durch Lügenmärchen in große Aufregung versetzt hatte. Der ganze Wald trauerte um Silena an diesem Tag. In all den langen Jahren, soweit die Tiere sich entsinnen konnten, war im Wald bisher noch nie ein Tier gestorben. Nur die beiden Riesen, die schon einige Generationen hatten kommen und gehen sehen, hatten vor den Tieren das Geheimnis der Sterblichkeit bewahrt.

In den folgenden Tagen waren die Kunos gekommen und hatten die Bewohner des Waldes getröstet. Sie sagten, dass alles seine Bestimmung habe. Nichts sei umsonst und sinnlos und das wirkliche Leben sei immerwährend und ohne Ende. Auf der Erde aber habe alles seine Zeit und sein bestimmtes Ziel. Für alles sei hier ein Rahmen gesteckt und es sei keinesfalls alles möglich. Nur die böse Tat sei nicht bestimmt. Dieses Leben aber sei ein Samenkorn für ein ungleich höheres und freieres. Auch die Hirschkuh Silena sei jetzt frei für ein anderes, höheres Leben. Mit diesen Worten beruhigten die Kunos die Schar der Tiere. Die Kunos vereinten großes handwerkliches Geschick bei einfachster Lebensweise mit hoher Denkkraft. Sie waren weise, aber nicht schön von Gestalt. Sie hatten einen breiten Mund mit Spaltlippen, dicke Bäuche, große abstehende Ohren und breite Schweinsnasen. Die Gliedmaßen waren kurz und plump und der Kopf fast halb so groß wie der gesamte übrige Rumpf. Sie trugen einen ungeheuer langen Haarschopf, der fast senkrecht empor stand und bei jedem Individuum unterschiedlich gefärbt war. Da die Kunos neben ihrem ausgezeichneten Gehör unter den menschlichen Wesen auf Plédos über den schärfsten Blick verfügten und ausgesprochene Augenmenschen waren, hatten sie für jede der ihnen bekannten rund zweihundert Millionen Farben ein anderes Wort. So kam es, dass jeder Kuno von Geburt an nach seiner speziellen Haarfarbe benannt wurde. Meist war es so, dass mit jedem neugeborenen Kunokind eine neue Farbe entdeckt und benannt wurde, denn so viele Farbnuancen, wie die Haartracht der Kunos zeigte, gab es trotz des feinen Unterscheidungsvermögens der Kunoaugen in der freien Natur überhaupt nicht. So ist es nur verständlich, dass es, wie oben angedeutet, in der Kunosprache mehr Wörter für Farben gab als für andere Dinge – nämlich etwa zweihundert Millionen – und es kaum einen Kuno gab, der den Namen eines anderen trug. Die Kunosprache, die an sich schon überaus reichhaltig war, verfügte über einen Wortschatz von dreihunderttausend Wörtern, wenn man die Namen für Farben abzog, und das ist schon überaus viel für eine Menschensprache und umfasst wohl mehr als hundert Sprachen unserer Erde. Es gab nur zwei Personen unter den Kunovölkern, die eine höchst langweilige Haarfarbe hatten, eine Farbe, die genau an den beiden Enden aller möglichen und auch uns bekannten Farbskalen lag, nämlich Schwarz und Weiß. Es waren Kuno Weißhaar und sein Cousin Kuno Schwarzschopf. Natürlich sagte ihnen niemand, dass man ihren Namen und ihre Farbe für langweilig hielt, aber man gab es ihnen durch Gesten, Mienenspiel und zweideutige Worte zu verstehen. Und das war der Grund, warum sich beide von ihrem übrigen Volk abgesondert hatten und einen engen Kontakt zum kleinen Idan pflegten. Viel lieber hätten die beiden „Kuno Kaloramis“ geheißen, was eine warme Feuerfarbe bedeutete, ein besonders leuchtendes Orange, das in Worten unserer Erdensprache nicht von anderen, nach unseren Begriffen sehr ähnlichen Orangetönen, zu unterscheiden ist, aber von den Kunos sehr wohl unterschieden wurde. Oder sie hätten es begrüßt, „Kuno Fulgur“ oder „Amirabilis“ genannt zu werden, was beides eine weißgoldene Glanzfarbe in ganz verschiedenen Nuancen bezeichnet. Kuno Weißhaars Mutter hieß zum Beispiel Kuna Kaloramia. Man kann sich wohl denken, wie sehr entsetzt sie war, als sie in Erwartung ihres Kindes und womöglich einer völlig neuen, bisher unbekannten Farbe das schlichte Weiß auf dem Kopf ihres Sohnes entdeckte. Das war natürlich eine große Schande. Freilich wurde nicht ausgesprochen, dass dies eine Schande war. In der Sprache der Kunos, so reich sie auch war, gab es das Wort „Schande“ überhaupt nicht. Das war ein Wort, das die Kunos erst im Umgang mit anderen Völkern erlernten, aber unter sich so gut wie nie gebrauchten. Dennoch spürte Kuno Weißhaar wohl von früher Jugend auf den Gram seiner Mutter. Denn der ganze Stolz der Kunos ist ihr Haarschopf, der oft dreimal so lang ist wie ihre Statur. Und Kuno Weißhaars Haarschopf war eben weiß und der Haarschopf seines Vetters eben schwarz und das waren ganz banale Farben, die überall vorkamen. Ja, man stritt sich oft darüber, ob es sich um echte Farben handelte. „Weißhaar … Schwarzschopf … isch des iberhaupt e’ Farb’?“, pflegten Verwandte zu sagen und die Mutter Kuna Kaloramia und Kuno Schwarzschopfs Mutter, die mit Namen Kuna Fulgurana hieß, schämten sich dann gewaltig, denn sie mussten vor sich selbst bekennen, dass es eigentlich gar keine Farben waren. Wie oft hatte Kuno Weißhaar seine Eltern angefleht, ihm doch einen anderen Namen zu geben. Aber es war nun einmal Gesetz, dass ein Kuno nach seiner Haarfarbe benannt werden musste. Da war nichts zu machen. Das war so ziemlich das einzige Problem, aber ein nicht geringes – zumindest nicht für Kuno Weißhaar und für Kuno Schwarzschopf. Sie spürten deutlich die Verachtung, die man ihnen gegenüber hegte, und diese hing eben mit ihrem Namen und ihrer Haarfarbe zusammen, die eigentlich gar keine Farbe war. Insgeheim tuschelte man, sie seien Missgeburten. Hätten sie kleinere Ohren oder menschliche Nasen oder einen Elefantenrüssel statt Schweinsnasen gehabt, so hätte man sie nicht als Missgeburten bezeichnet. Aber eine Haarfarbe, die eigentlich gar keine war, kam eigentlich nur in zwei besonderen Fällen vor – eben bei Kuno Weißhaar und Kuno Schwarzschopf. Und das war völlig außergewöhnlich. Da die Kunos trotz ihrer sonstigen Weisheit nicht von der Überbewertung der Haarfarben ablassen wollten und Kuno Weißhaar und Kuno Schwarzschopf das ständig zu spüren bekamen, fühlten sich die beiden gezwungen, ein Wanderleben zu führen. Dabei machten sie Erfahrungen und Entdeckungen wie selten ein Kuno. Den Komponischen Märchenwald besuchten sie regelmäßig.

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