Читать книгу Warum zum Teufel Ritalin?. Diagnose ADHS - mein Leben mit und ohne Medikament онлайн

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Mein Vater, so erfuhr ich erst viel später, pflegte ebenfalls ein zwiespältiges Verhältnis zur Religion. Im aargauischen Freiamt – dem sogenannten «schwarzen Erdteil» – aufgewachsen, erlebte er in seiner Kindheit und Jugend verbale und körperliche Gewalt durch Geistliche.

Trotz dieser Umstände waren beide Elternteile darauf bedacht, meine drei Jahre ältere Schwester und mich in der Tradition christlicher Werte zu erziehen. Obschon gerade in ländlicher Umgebung die soziale Kontrolle funktioniert und sich manche «Verfehlungen» wie ein Lauffeuer verbreiten, ließen Mutter und Vater die Sonntagsmesse regelmäßig sausen. Dem Pfarrer entging unsere Abwesenheit nicht, und am Montag erkundigte er sich im Religionsunterricht vor der ganzen Klasse, warum die Familie Rey am Sonntag nicht in der Kirche gewesen sei. Er hatte allerdings nicht mit der Gewitztheit meiner Eltern gerechnet. Sie halfen uns Kindern nämlich proaktiv mit der Formulierung von Notlügen, und so antworteten wir beispielsweise: «Wir haben die Großeltern auf dem Gasthof in den Bergen besucht.» Diese Besuche fanden zwar regelmäßig statt, denn meine Mutter war im dortigen Hotel arbeitstätig und trug somit zum Familieneinkommen bei. Wir saßen also in Tat und Wahrheit am Sonntag gemütlich in der guten Stube und unsere Ausflüge dienten als willkommene Ausrede für die geschwänzten Kirchenbesuche.

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