Читать книгу Gesundheit - Begriff, Phänomen, Konstrukt. Theologisch-praktische Quartalschrift 1/2022 онлайн

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Der Mensch wird im Mittelalter – besonders bei Hildegard von Bingen – als in Einheit mit dem Kosmos stehend betrachtet. Da Krankheiten im Kontext des menschlichen Gottesverhältnisses gesehen werden, kann sich eine gestörte Harmonie zwischen Mensch und Gott in Krankheiten ausdrücken. Gesundheit ist daher nicht ohne innere Umkehr und Wiederherstellung dieser Harmonie zu erreichen. Die Bewegung von der Gesundheit zur Krankheit und von der Krankheit zur Gesundheit wird als Abbild des menschlichen Weges vom Paradies zum Erdendasein und von diesem zurück in die Ewigkeit gesehen. Christus ist als Christus medicus letztlich der Arzt des Menschen.13

Mit Beginn der Neuzeit, dem Entstehen eines neuen Weltbildes und dem Aufkommen der experimentellen Naturwissenschaft ändert sich das Bild vom Menschen. Er fällt, religiös gesehen, aus der Einheit mit dem Kosmos heraus. Auf der Basis fortschreitender naturwissenschaftlicher Erkenntnis – vornehmlich als Folge des mechanistischen Weltbildes Isaac Newtons – wird auch in der Medizin das zunächst von René Descartes vorgestellte und von Julien-Offray de Lamettrie weitergeführte Maschinenmodell vom Menschen im 18. Jahrhundert zum Paradigma von Krankheit und Gesundheit. Strukturelle Veränderungen im menschlichen Körper, die man an Leichen feststellen konnte, werden rückwirkend auf lebende Menschen extrapoliert und für Krankheitsentstehungen verantwortlich gemacht (Strukturpathologie).14 Materielle Deformationen gelten als Krankheitsursachen.

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