Читать книгу CHANGES. Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit онлайн
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Formate sind Mustererkennungswerkzeuge. Ihre wachsende Bedeutung und auch ihre jüngsten Entwicklungen verbinden sich eng mit der Entwicklung des digitalen Zeitalters. Weniger in dem Sinne, dass sie mit dem Bau der ersten Computer in die Welt gekommen sind, sondern eher im Verständnis von „Digitalität“ des Philosophen Armin Nassehi, der das digitale Zeitalter mit dem Beginn einer Praxis der Vermessung und Kultur der Standardisierung und Präkognition verbindet (Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft, 2019). Formate entwickeln formale, oft intuitive und nicht kommunizierte Algorithmen für die Diagnose des Zusammengehörigen. Formate bringen also Ordnung in die Welt, weil sie deren Muster lesen und aufweisen.
Das Format als Werk
Für Künstler*innen wie Philippe Parreno oder Yayoi Kusama ist das eigentliche Werk nicht das einzelne Objekt, das sie in einer Ausstellung zeigen und in der Galerie verkaufen, sondern das Gesamtgefüge der Ausstellung selbst – erst ihre Totalität erzeugt am Ende das „Werk“, und dafür wird hier alles, was im Raum ist, inklusive der baulichen Infrastruktur, der anwesenden Künstler*in oder Besucher*in zum Teil des Werks. In der Gestaltung der Ausstellung, wie sie Kai Althoff 2016 im Museum of Modern Art (MoMA) in New York entwickelt hat, wird das Format als spezifisches Werk begriffen – eine Gesamtkomposition aus Dingen, Musik, Gerüchen und gelegentlich auch Abfall, die in ihrem Zusammenspiel ähnlich durchgestaltet wurde wie das einzelne Objekt. Seine Ausstellung „und dann überlasst mich den Mauerseglern“ organisiert die Begegnung mit den Bildern und Klängen durch die Einbettung aller Objekte in ein ebenfalls werkhaftes Ambiente völlig anders als eine White-Cube-Ausstellung. Wo klassische Ausstellungen septische Räume kreieren, Übersicht und Abstand, und so das aus seinem Kontext extrahierte Werk als Objekt präsentieren, vergräbt Althoff seine Arbeiten in der Ausstellung wieder. Dafür hat er im großen Saal des obersten Geschosses eine White-Tent-Höhle geschaffen, und die Besucher*innen entdecken darin die Welt des Künstlers in einem Gewirr von Arbeiten und Fundstücken, in Grafiken und kunstvollen Briefen unter bekleckerten Glasplatten, neben verbrannten Matratzen, oder man sieht sie einfach gar nicht, weil die Bilder verpackt in grauem Papier an der Wand lehnen. In seiner exquisiten Ausstellung mit Lutz Braun bei der Berlin Biennale 4 roch es nach Exkrementen. Zwar besetzt Kai Althoff den Ausstellungsraum, aber er inszeniert seine Arbeit nicht als Kette singulärer Ereignisse, die Gemälde oder Zeichnungen wie Heiligtümer ohne Einbettung und Kontext präsentieren – was auch interessant sein kann, nur eben nicht für Kai Althoff. Er spielt mit dem Format, seiner verborgenen Pädagogik, seiner subtilen Macht, die auf uns via ihrer für selbstverständlich gehaltenen Konventionen einwirken, auf dass auch wir aus ihnen kommend ein bisschen sauberer und aufgeklärter zurück in die Welt gehen. Kai Althoff gestaltet lieber unordentliche Ausstellungen, die in ihren eintausend arrangierten Details so überaus pedantisch sind, dass man lachen möchte über die Befreiung, die von ihnen ausgeht.