Читать книгу CHANGES. Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit онлайн
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Eine Ausstellung von Pierre Huyghe schafft zum Beispiel eine schwebende Erfahrung von Kunst, die sich durch die unterschiedlichsten Medien und Orte hindurchbewegt und oft größere Organismen bildet, als klassische Formate sie aufnehmen können. Gerard Mortier hat als Opernspezialist und Festivaldirektor dafür Anfang der 2000er-Jahre, als er die Ruhrtriennale gründete, den bereits erwähnten Begriff der „Kreation“ geprägt – die Beschreibung der Zusammenführung von Romanen mit Räumen und Kompositionen, die ein eigenes, neues Werk hervorgebracht haben, das unwiederholbar durch andere Künstler*innen blieb, weil diese Kreation keine Interpretation war, sondern Schöpfung – was oft schwer zu trennen ist. Während sich im frankophonen Theater der Begriff der „création“ weitgehend durchgesetzt hat, ist sein deutschsprachiges Pendant heute nur selten auf Spielplänen zu lesen. Häufiger stößt man auf die „Stückentwicklung“, die eine vergleichbare Abhängigkeit von Werk und Akteur*innen in der Werkgenese beschreibt, die Wiederholbarkeit durch andere Interpret*innen aber vielleicht weniger kategorisch ausschließt und häufig impliziert, dass das enstandene Werk dem Sprechtheater zuzuordnen ist. Kreationen bzw. créations wie Alain Platels Wolf interpretierten nicht mehr einzelne Werke Mozarts, sondern in der Collage verschiedenster seiner Arbeiten Mozart selbst. In Gerard Mortiers Programm entstanden Formate wie „Century of Song“ oder „Die Wiedererrichtung des Himmels“, die mehrjährige Kreationen auf der Ebene eines anderen Framings von Musik oder Literatur waren und neue Berührungsräume zwischen Literatur und Nicht-Literatur, Malerei oder Politik schufen, um einer Idee, einer Fragestellung bis in ihre feinsten und überraschendsten Verästelungen zu folgen.