Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Dagegen ist die folgende Stelle desselben Aufsatzes geeignet eine Reihe von Bedenken hervorzurufen: "Das Rätsel des Schönen und der Kunst ist durch drei ganz verschiedene Untersuchungsweisen in Deutschland der Erörterung unterworfen worden. Der Aristotelische Gedanke einer Technik der Künste, d. h. einer Untersuchung der Mittel, vermöge deren sie die höchsten Wirkungen hervorrufen, herrschte bei Kant. Durch Kant trat die Verfassung des produzierenden Genies selber in den Vordergrund; der tiefe Gedanke von einer besonderen Art des Genies die Welt aufzufassen ward durch ihn, Schiller und Fichte, die Romantiker und folgenden Philosophen fortgebildet und in seine historischen Konsequenzen verfolgt. Das Studium der physiologischen Bedingungen hat dann den gegenwärtigen Arbeiten ein ganz neues Fundament gegeben."

Diese Sätze enthalten manche Unklarheit; vor allem aber muss dagegen Verwahrung eingelegt werden, dass in jenen "drei ganz verschiedenen Untersuchungsweisen" eine Steigerung enthalten sei, hinsichtlich ihrer Fähigkeit das "Rätsel des Schönen und der Kunst" zu lösen, ja dass sie in dieser Beziehung auch nur als gleichberechtigt einander koordiniert werden dürften. Eher noch möchte die Steigerung im umgekehrten Verhältnisse stattfinden. Untersuchungen über Symmetrie und Proportion, wie z. B. der empirische Erweis, dass das Verhältnis des goldenen Schnittes uns besonders wohlgefällig sei und daher überall im Kunstgewerbe eine vorzugsweise Anwendung finde, ferner über Harmonie, Farbenmodulation und Ähnliches können bis auf einen gewissen Grad den Nachweis führen, dass manches unsern Sinnen Angenehme (ἡδεῖα) sich als auf bestimmte mathematische und arithmetische Verhältnisse, auf die physikalische Natur des Klanges oder der Farbenerscheinung, zugleich auf die Physiologie unseres Organismus gegründet, als natürliches Postulat der Einrichtung unserer Sinneswerkzeuge ergibt. Aber da, wo das eigentliche Gebiet der Kunst erst beginnt, mit den ethischen Eindrücken, da also, wo es gilt, vermittelst jener angenehmen Sinneseindrücke zusammenhängende, bewusst empfundene Seelenvorgänge höherer Art, wie sie die Seele bevorzugter Menschen bewegten, nun auch in den Seelen der übrigen Menschen hervorzurufen, da hören alle Resultate jener Untersuchungsmethode längst auf. So wichtig z. B. die berühmten Helmholtzschen optischen und akustischen Entdeckungen für die Wissenschaft sind, so haben sie für die Ausübung und auch für die Betrachtung der musikalischen und malerischen Kunst doch kaum einen andern Wert als das Apercü der Pythagoräischen Zahlentheorie. Diese ganze, vielfach jetzt so hoch gepriesene Methode kann es höchstens zu äußerlichen Resultaten bringen und auch hier nur dazu, einzelne von der Praxis längst oder von jeher geübte Handgriffe und immer befolgte äußere Elementargesetze nun noch als durch die physikalische Wissenschaft bestätigt und mit physiologischen Erfahrungen in Übereinstimmung aufzuzeigen.

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