Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Auch die zweite von Dilthey namhaft gemachte "Untersuchungsweise" ist weit davon entfernt, die erste, Aristotelisch-Lessingsche zu überbieten, oder auch nur ihr gleichgestellt werden zu können. "Die Verfassung des produzierenden Genies selbst," "der tiefe Gedanke von einer besonderen Art des Genies die Welt aufzufassen" — es ist nicht mit völliger Deutlichkeit zu erkennen, was damit für die theoretische Kunstbetrachtung spezifisch Unterscheidendes gesagt sein soll. Genies hat es zu allen Zeiten gegeben, und zu allen Zeiten hat nicht allein ein jedes seine besondere Art gehabt die Welt anzusehen und widerzuspiegeln, sondern solange es etwas Ähnliches wie Kunstbetrachtung gibt, hat sie gerade von dem Eigenartigen, welches das einzelne Genie charakteristisch in dieser Beziehung auszeichnete, ihren Anfang genommen. Dass eine räsonierende Kunstphilosophie von diesem Gesichtspunkte aus, namentlich wenn sie in historischer Überschau die Epochen und Zeitalter vergleichend ins Auge fasst, eine Menge interessanter Beobachtungen anstellen kann, ist gewiss, und von denen, die Dilthey nennt, hat Schiller hierin den schärfsten Blick und die großartigste Auffassungsweise entwickelt. Er hat auch noch mehr getan: er hat in solcher Betrachtung die Wege gefunden, "das Rätsel des Schönen und der Kunst" in seiner Lösung höchst wesentlich zu fördern. Aber wie anders konnte dies geschehen, als dass durch solche vergleichende Erforschung des Genies eben nur neues Material vermittelt wurde, Gesetze der Kunsttechnik aufzufinden, Regeln und Vorschriften für die einzelnen Künste aufzustellen; wie anders, als dass "die Mittel untersucht wurden, vermöge deren sie die höchsten Wirkungen hervorrufen," d. h. also, wie anders als in derselben Weise, in der eben Aristoteles und Lessing die Kunst oder vielmehr die Künste untersucht haben. Und ist Lessing nicht auf demselben Wege dazu gelangt wie Schiller? Ist etwa in der Hamburgischen Dramaturgie nicht der "tiefe Gedanke" enthalten "von einer besonderen Art," wie die französischen Tragiker und die Griechen die Welt auffassen und wie die spanischen Dramatiker und wie etwa ein Shakespeare?

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