Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Dennoch ist Herders Einwand falsch; aber der Fehler liegt an einer ganz andern Stelle. Auch Herder geht in die Irre, weil er versäumt hat von der Mimesis sich eine scharf bestimmte Vorstellung zu machen. Hier freilich lässt sich die Schiefheit seiner Argumente mit zwei Worten erweisen: sie liegt in dem doppelsinnigen Gebrauch des Verbums "wirken".

Die Künste "wirken durch dieses oder jenes" kann einmal bedeuten: sie vollziehen ihr Geschäft; so ist es bei Lessing gemeint, wenn er sagt, die Malerei wirkt im Raume durch Figuren und Farben, die Poesie in der Zeit durch artikulierte Töne. Sodann aber kann es heißen: sie erzeugen Wirkungen in der Seele des empfangenden Menschen, sie bringen Vorstellungen hervor, welche sein Empfindungsvermögen der Absicht des Künstlers gemäß afficieren. Das eine Mal ist die Frage: welche technischen Mittel treten in den einzelnen Künsten in Aktion? und das andere Mal: welchen ästhetischen Erfolg bringt die Aktion dieser Mittel hervor? Durch die Erkenntnis dieses Sophismas wird Herders gesamte Schlussfolgerung in dieser Frage über den Haufen geworfen; seine Argumentation lässt sich nun in ihr direktes Gegenteil verkehren, alles von den "Wirkungen" der Poesie Gesagte mit eben demselben Rechte auf die Malerei anwenden. Lediglich nebeneinander gestellte, koexistierende, Figuren und Farben "wirken" gerade so wenig "künstlerisch" als lediglich aufeinander folgende Worte und Klänge. "Das Wohlgefallen an dem Anblick des Koexistierenden, die Wirkung der Kunst, die Seele, die den Figuren und Farben einwohnt, der Sinn, der durch die künstlerische Absicht in sie hineingelegt wird, ist alles. Durch diesen Sinn der Figuren und Farben wirkt die Malerei erst auf die Seele. Wir wollen das Mittel dieser Wirkung Kraft nennen, die einmal den Körpern beiwohnt, Kraft, die zwar durch das Auge eingeht, aber unmittelbar auf die Seele wirkt. Diese Kraft ist das Wesen der Malerei, nicht aber das Koexistente oder Sukzessive."5

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