Читать книгу Fachdidaktik Englisch - Fokus Literaturvermittlung. Eine hermeneutische Analyse von Lehrwerken der gymnasialen Oberstufe онлайн

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In literaturwissenschaftlichen oder -didaktischen Lehrveranstaltungen fällt auf, dass in der Arbeit mit umfangreicheren Werken allmähliche Figurenentwicklungen, achronologisch angeordnete Handlungsstränge oder mehrsträngige Plot-Konstruktionen immer wieder allzu rigide simplifiziert werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines selbstverständlichen Einsatzes von in der Schule üblichen Recherchetools wie shmoop, sparknotes, nosweatshakespeare oder vergleichbaren Informationsplattformen, deren Angebote oft die Primärtextlektüre ersetzen. In Seminardiskussionen wie in wissenschaftlichen Hausarbeiten wird eifrig über die Autorintention spekuliert; dagegen werden Stadien eines ein- oder mehrsträngigen Handlungsverlaufs ebenso wenig berücksichtigt wie Perspektivwechsel in erzähltechnisch anspruchsvollen Texten wahrgenommen. Demzufolge kommt es immer wieder zu textlich begründbaren Missverständnissen bezüglich der Chronologie von Ereignissen, komplexer Charakterzeichnungen und mehrschichtiger Figurenkonstellationen. Häufig werden Hypothesen darüber formuliert, was eine Figur in einer bestimmten Situation zu ihrem Handeln bewegt, ohne dass die entsprechenden Textsignale zuvor oder später zur Kenntnis genommen würden, die über Entwicklungsdynamiken in einer Figurenkonzeption Aufschluss geben könnten. Imaginäre Charaktere werden entweder identifikatorisch (und weniger empathisch) erfasst, indem Rezipient:innen ihre eigenen Lebenserfahrungen in den jeweiligen Stoff ‚hineinlesen‘. Oder die Studierenden bieten, in Ermangelung dessen, was angelehnt an ein summarisches Konzept von „Fiktionskompetenz“ (Gschwind 2020) als Fremd-Fiktionskompetenz zu konkretisieren wäre, ihrerseits eine alternative Version zum Handlungsverlauf einer Erzählung bzw. eines Dramas, womit sie sich von einer ästhetisch-analytischen auf eine adaptierend-performative Rezeptionsebene begeben, die aber im Bereich einer literaturwissenschaftlichen Annäherung an Texte äußerst selten eingefordert wird.

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